Ich könnte in diesen Tagen eine Menge schreiben. Zu dem ganzen Gesabbel um die Kellerkids von der Piratenpartei und ihrer politischen Ahnungslosigkeit, zu Günter Grassens „Gedicht“ genannter Unverschämtheit mit Zeilenbrüchen, zu Kristina Schröders neuem Buch, oder zum verantwortungslosen Umgang vieler Medien mit dem „Shooting-Star“ Anders Breivik. Zu Kony, Wulff oder Guttenberg allerdings nicht, denn die interessieren ja keine Sau mehr, so wie die Piratenpartei, Grass, Breivik und Schröder in wenigen Tagen oder Wochen keine Sau mehr interessieren werden. Schnee von Gestern im Blizzard der deutschen Debattenkultur. Ich könnte einiges dazu sagen, wie gesagt. Aber ich mag nicht. Weil es mich ankotzt, weil mir dieses implodierende Meinungsgewichse dermaßen auf den Sack geht, dass ich schon müde werde, wenn ich dran denke nur noch zwei, drei weitere Gedanken an dieses Drecksthema zu verschwenden.
„Bitte nicht schon wieder eine Debatte, die keine ist“, beginnt der Spiegel-Online-Kolumnist Georg Diez seinen Artikel über Günter Grass’ „Was gesagt werden muss“-Schmonz, und dort hätte der Text dann eigentlich enden können. Tat er natürlich nicht, und weil der gute Mann ja so von der Debatte, die keine ist, genervt war, ließ er im Abstand von wenigen Tagen gleich noch zwei weitere Texte folgen, die – wen wundert’s? – Grass’ „Was gesagt werden muss“-Schmonz zum Thema hatten. So kann man es natürlich auch machen. Früher wurden Dinge, die einen genervt hatten, totgeschwiegen, heute werden sie totgelabert.
In den nächsten Tagen wird irgendein wie auch immer gearteter prominenter Vollpfosten einen öffentlichkeitswirksamen Furz lassen, und dann geht der Schwachsinn von vorne los. Von „Bild“ über „SZ“ und „FAZ“ bis hin zum „Spiegel“ und dessen verkrüppelten, kleinen Bruder, „Spiegel-Online“, wird jedes Meinungsorgan auf seinem jeweiligen Niveau den Furz anzünden und kaputt diskutieren, die Geruchsmoleküle werden analysiert und kommentiert, mal wohlwollend, mal ablehnend, wenn der Gestank verfliegt wird nach älteren Fürzen gefahndet, und wenn schließlich die Luft wieder völlig rein & genießbar zu werden droht, wird über die Art, wie über den Furz debattiert wurde, debattiert. In der Hoffnung, dass ein anderer baldmöglichst den nächsten Furz lässt. Zurück bleiben wird nichts, außer der vagen Ahnung eines schlechten Geruchs.
Ich kann verstehen, dass in Zeiten des Onlinejournalismus’, der Echtzeitberichterstattung und dem ganzen Bums die Nachrichtenportale unter einem gewissen Zugzwang stehen. Wer seine Seiten nicht regelmäßig aktualisiert, der wird uninteressant. Bestes Beispiel: dieser Blog. Aber ist das ein Grund, jede Belanglosigkeit zum Skandal zu pushen? Muss ich mir deswegen in jedem Medium von jedem verfügbaren Redakteur jeden möglichen Standpunkt zu einem Thema vorsabbeln lassen?
Günter Grass ist ein schönes Beispiel. Zu „Was gesagt werden muss“ muss man nicht viel sagen. Es ist kein Gedicht, auch wenn der Autor es als solches auszeichnet; es ist die in Zeilen gebrochene Meinung eines alten Mannes, der vor etlichen Jahren mal ein paar gute Bücher geschrieben hat. Was ein Gedicht ist, wie es auszusehen hat – darüber gibt es mindestens so viele Meinungen wie Lyriker, jeder hat seinen eigenen Definitionsansatz, seine eigene Poetik, und das ist auch gut so. Aber alle Poetiken kommen an einem Punkt überein, nämlich, dass ein Gedicht immer etwas hat, was über das „bloß Geschriebene“, die Worte, die dort nachlesbar stehen, hinauswirkt, unabhängig davon, wie simpel es sein mag. Günter Grass’ Text tut genau das nicht: es ist bloß das, was dort steht. Und das, was dort steht, ist nicht mal interessant. Jeder Mensch, der sich halbwegs mit Lyrik befasst, wird die Etikettierung „Gedicht“ für Grassens Text als Unverschämtheit empfinden, und selbst die ahnungslose Mehrheit würde dem Gestammel jeden künstlerischen Wert absprechen („Hö, ich dachte’n Gedicht reimt sich?!“), aber dank dem Dauerfeuer aus allen medialen Rohren wird dieser versial zerbröselte Dreck immer und immer wieder geadelt. Bravo, Günter Grass, du hast nicht nur dein eigenes literarisches Erbe demontiert, du hast zugleich der Lyrik als künstlerischer Gattung einen kaum bezifferbaren Schaden zugefügt, nicht zuletzt dank deiner Komplizen in jeder meinungsbildenden Nachrichtenklitsche. Das muss man auch erstmal schaffen.
Wirklich, diese Scheiße macht mich müde und mürbe, und das nicht nur, weil es gleich fünf Uhr morgens ist. Das Grass-Beispiel zeigt, genau wie der Umgang einiger Medien mit Anders Breiviks Selbstdarstellung vor Gericht, dass eine ausgeprägte Gesprächskultur kein Garant für Intelligenz ist. Wenn Spiegel-Online mit dezenter Empörung schreibt, dass Anders Breivik den Prozess als Bühne für seine bescheuerte Ideologie missbraucht, und genau diese Ideologie haarklein wiedergibt, dann bekommt man als halbwegs vernunftbegabter Mensch einfach Kopfschmerzen. Und die – natürlich – daraus resultierende Debatte, ob man der Selbststilisierung des Massenmörders durch diese Berichterstattung unterstützen darf oder nicht, und wenn ja, warum, und wenn nein, dann doppelt warum, und dieses ganze, irrwitzige Ballaballa-Blablabla, das alles sorgt nicht unbedingt dafür, dass es dem Kopf besser geht. Und wenn man dann bedenkt, dass genau dieses Thema in wenigen Tagen so was von vergessen sein wird, einfach weil nun auch der letzte Primat die Schnauze schlichtweg voll hat und es nicht mehr hören kann, dann werden diese Kopfschmerzen chronisch. Bzw., höhö, chronistisch.
Ich für meinen Teil gehe jetzt schlafen. Ich hoffe, ich habe nicht wieder diesen widerwärtigen Traum, in dem ich sah, wie K.T. zu Guttenberg und Kai Diekmann sich gegenseitig in die Haare wichsten. Nicht nur, weil der Traum so eklig war, sondern weil ein Guttenberg-Hashtag auf Twitter keine 20 Tweets mehr anzeigt.
2 Kommentare:
Dein Text ist zwar ganz gut geschrieben und im Allgemeinen stimme ich dir zu. Aber: 1.Im Grunde debattierst du auch grad wieder darüber wie debattiert wurde. 2.Für dich mögen die Themen ja keine Debatte Wert sein, aber nicht jeder Mensch hier in Deutschland besitzt gesunden Menschenverstand. Meiner Meinung nach bringt es einem immer noch mehr über Grass' Gedicht (oder wie man auch immer es bezeichnen mag) zu debattieren als über die Fußballergebnisse. 3.Und wenn dich alles nervt, dann ignoriere es doch einfach. Ich gucke fast gar kein TV und deshalb kann mir diese ganze schlechte Berichterstattung auch nichts anhaben.
hi schwartz,
ich wollte dich mal fragen ob es schon ein buch von dir zu kaufen gibt, hab mal in einem interview davon gehört das es eins geben soll?! is da was wahres dran? wenn ja kannst mir vielleicht sagen wo ich es kaufen kann, würde mich freuen, da ich sehr interessiert an deinen werken bin.
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