Ein Einzelhändler, nennen wir ihn Joe, hat einen kleinen
Gemischtwarenladen. Der Laden läuft nicht gut, er hat so gut wie keine Kunden,
er bleibt auf seinen Waren sitzen. Was passiert? Joe macht den Laden dicht. Das
ist das Prinzip von Angebot und Nachfrage: wenn keine Nachfrage nach einem
Angebot besteht, wird dieses Angebot über kurz oder lang zurückgezogen. Ein
alter Hut. Joes Kumpel, nennen wir ihn Jack, hat ebenfalls einen
Gemischtwarenladen. Im Gegensatz zu Joe hat er einen großen Kundenstamm, die
Leute mögen seinen Laden und seine Waren, sie kommen häufig, sie erzählen ihren
Freunden davon. Trotzdem kann Jack sich kaum über Wasser halten, denn die
meisten seiner begeisterten Kunden klauen. Sie kommen jeden Tag, sie erzählen
ihm, wie unglaublich geil sein Angebot sei und schmuggeln die Einkaufsartikel
unterm Mantel raus. Und wundern sich, als Jack seinen Laden eines Tages auch
dicht macht, weil er keine Gewinne mehr erzielt.
Was jedem normalen Menschen einleuchtet, ist heutzutage ein
Diskussionsthema. Dem beachtlichen Wahlerfolg der Piratenpartei ist es zu
verdanken, dass man allen Ernstes darüber debattiert, ob Jack die Leute nicht
einfach klauen lassen sollte, wenn sie doch wollen, und dass es doch nicht sein
könne, dass jeder, der halt mal was mitgehen lässt, kriminalisiert würde, usw.
Klar, ich seh jetzt schon, wie einige die Augen verdrehen. „Wie
kann er denn illegale Downloads mit Ladendiebstahl gleichsetzen, wenn man Mucke
lädt ‚fehlt‘ schließlich keine CD, folglich gibt es also auch keinen Schaden!
Und außerdem, wer sagt denn, dass jeder, der die Musik lädt, sich die CD auch
kaufen würde? Keiner! Überhaupt, Musik sollte man aus Liebe machen, und nicht
wegen der Kohle! Und außerdem, ein Raubkopierer kriegt zehn Jahre Haft und ein
Kinderficker nur Bewährung, ist das etwa gerecht?“
Gestattet, dass auch ich nun die Augen verdrehe. Denn so
sehr auch ich härtere Strafen für Kinderficker befürworte, so sehr gehen all
diese Argumente am Problem vorbei. Aber der Reihe nach.
Ja, auch ich bin für ein freies Internet. Auch ich nutze oft
und gerne Wikipedia, auch ich halte es für überzogen, eine Anzeige wegen
Verstoßes gegen das Urheberrecht zu bekommen, wenn man z.B. ein Gedicht von
Gottfried Benn zitiert – darüber muss man nicht diskutieren. Dass jemand sich
mal eine CD von einem Kumpel brennen lässt, dass jemand seine Lieblingstracks
auf Youtube lädt, das ist an sich alles okay. Es ist auch nichts Neues, im Verkaufspreis
für CD-Rohlinge sind Raubkopien mit einkalkuliert, ebenso wie früher bei
Kassetten (jaja, diese altmodischen, unhandlichen eckigen Teile). Seit Kunst
kopiert werden kann, wird sie kopiert.
Und natürlich ist das freie Internet gerade für
Independent-Künstler ein Glücksfall; im Grunde kann jeder, losgelöst von den
bürokratischen Strukturen eines Majorlabels, seine Musik promoten. Als
Independent-Künstler sage ich „Danke, Internet!“, und das aus voller Kehle und mit
ganzem Herzen. Auch ich nutze Youtube, um meine Musikvideos einer breiten Öffentlichkeit
zugänglich zu machen, und bin heilfroh, dass ich nicht mehr, wie in den 90ern,
Demos an irgendwelche Musikzeitschriften oder Labels schicken muss, in der
Hoffnung, dass die offen für den etwas eigenen Stil sind, den ich habe. Dank
des Internets konnte Hirntot Records seine Musik einer breiteren Öffentlichkeit
zugänglich machen, mit Freetracks und Musikvideos werden CDs promotet, und das alles
ist in erster Linie cool.
Worüber also reden wir dann? Über sowas:
„Yo Schwartz, ich feier deine Musik, ich bin dein allergrößter Fan! Ich hab mir all deine Alben runtergeladen und jedes davon ist top!“
Solche Zuschriften sind leider mehr die Regel, als die
Ausnahme. Aber auch wenn sie mir, abhängig von meiner Laune, entweder bloß ein fassungsloses
Kopfschütteln oder aber eine ausführliche Antwort mit einer Menge eher weniger
freundlicher Bezeichnungen die Erzeugerin des Empfängers betreffend, abnötigen,
sie dienen immerhin als gutes Beispiel für diese aktuelle Debatte, denn sie
attackieren den Kern.
Erstens, der Typ weiß gar nicht, dass das, was er tut,
illegal ist, er hat keinerlei Schuldbewusstsein. Und zweitens, der Typ
bezeichnet sich als Fan, feiert also was ich tue, aber kommt nicht einmal auf
die Idee, dies in irgendeiner Weise zu unterstützen. Know what I’m sayin‘?
Um es vorwegzunehmen, auch ich habe keine Universallösung
auf Lager. Ich lese derzeit eine Menge Artikel über Urheberrecht und
Filesharing , und diese lassen sich grob in zwei Lager teilen. Für die einen
ist Filesharing ein stinknormales Phänomen der Internetnutzung, und das habe
man zu akzeptieren, und es bringe ja auch nichts, jeden einzelnen Downloader zu
kriminalisieren. Auf der anderen Seite sind es in der Regel die Kreativen, also
Künstler selbst, Angestellte von Plattenfirmen und Filmfabriken oder auch mal
der ein oder andere Journalist, dem langsam dämmert, was für Folgen ein
ausgehebeltes Urheberrecht auch für ihn haben könnte, die entweder ans Gewissen
der Leute appellieren oder eine Kontrolle des Internets fordern, durch die Bank
jedenfalls darauf beharren, für ihre geistige Leistung auch entsprechend
entlohnt zu werden.
Als Internetnutzer wie auch als Künstler fühle ich mich auf
der Seite der Letztgenannten – auch wenn es hier ebenfalls Fanatiker und
Kuriosa gibt, wie z.B. den offenen Brief der „Tatort“-Drehbuchautoren (wir
erinnere uns: „Tatort“ läuft auf ARD, welche sich wiederrum über die
berüchtigten GEZ-Gebühren finanziert, die jeder, der ein Fernsehgerät besitzt,
entrichten muss, ob er nun ARD schaut oder nicht). Das liegt nicht daran, dass
ich mehr Künstler als Internetnutzer bin, sondern weil mich die Argumente der „Akzeptiert
es einfach, sie downloaden eh“-Fraktion auch als Privatperson nicht überzeugen.
Das gängige Beispiel, was auch gerne die Piratenpartei-Leute
anbringen, nämlich dass man illegales Filesharing legalisieren solle, weil es
ja eh jeder täte, ist zugleich das dämlichste. Mit der gleichen Begründung kann
man Pinkeln-ins-Schwimmbecken im Freibad, jedes Tempolimit im Straßenverkehr
oder Koks entkriminalisieren. Natürlich: es gibt in der Gesellschaft eine
gewisse Toleranz, was die Gesetzesausübung angeht. Nicht jeder, der mit 20km/h
mehr durch die Fußgängerzone fährt, soll sofort ‘nen Punkt ins Flensburg
bekommen, und nicht jeder, der im vollen Freibad klammheimlich ins Becken strullt,
muss Hausverbot bekommen (es sei denn, er verrichtet sein Geschäftchen gut
sichtbar vom Drei-Meter-Brett aus), und was Koks angeht, nun ja, schaut euch
halt die Generation der 20- bis 30-jährigen an. Dennoch sind diese Gesetze
sinnvoll, denn wenn auf einmal jeder (und, haha, am besten zeitgleich) ins Schwimmbecken
pisst, im Affenzahn durch die Straßen brettert oder sich halt die
Nasenscheidewand wegsnifft, und niemand in irgendeiner Weise eingreifen würde, dann
hätten wir Anarchie (und mir kann keiner sagen, dass er das ernsthaft will).
Auch diese Sprüche, dass Kunst und Kultur frei zugänglich
sein müsse, weil das ja im Grundgesetz stünde, ist, freundlich ausgedrückt,
Schwachsinn, denn „frei“ meint natürlich nicht „gratis“, sondern „uneingeschränkt“
(zumindest zeigt es, wes Geistes Kind die Befürworter sind, „Freibier“ und so,
wa).
Ich könnte noch eine Menge Beispiele bringen, aber ich werde
mich bloß auf diesen Piraten-Gemeinplatz beschränken, dass die Künstler ja Geld
verdienen dürften, aber die „Verwerter“, also die Verleger, Labelchefs,
Filmproduktionsfirmen etc., halt nicht mehr so viel. Dieses Argument zeugt in
all seiner Ungenauigkeit von dem schmerzhaft niedrigen Niveau, auf dem diese
Debatte geführt wird. Es zeugt nicht nur von kunsthistorischer Unkenntnis, es
zeugt zudem von einem Desinteresse an wirtschaftlichen Zusammenhängen, so dass
man am Ende doch immer wie zu dem Punkt kommt, dass es sich bei der
Piratenpartei um ein paar Freaks handelt, die sich halt ungestört Filme, Musik
und anderen, äh, „Content“ runterladen wollen. Die Kunstverwertung (ein
hässliches Wort, das mit Absicht wegen seiner Hässlichkeit gewählt wurde) ist
so alt wie die Kunst selbst, und jede Disziplin hatte neben den Künstlern eben
die Mäzen, Sponsoren und Vermarkter, die das ganze Zeug unter die Leute bringen.
Der bildende Künstler hat den Galeristen, der Schriftsteller den Verleger, der
Musiker den Produzenten und CEO, der Spieleentwickler den Distributor, der
Regisseur die Produktionsfirma. Und auch wenn dank des Internets die Strukturen
nicht mehr so festgefahren sind, so zeigt sich besonders dann, wenn man sich das
iTunes- oder auch Youtube-Konzept ansieht, dass es so völlig ohne
zwischengeschaltete Instanz eben nicht geht – auch nicht im Independentbereich.
Ab einer gewissen Größenordnung, in der Regel, sobald es
über die bloße Hobbytätigkeit hinausgeht, sind nicht nur die Herstellung ,
sondern auch der Vertrieb und die Vermarktung von Kunst mit hohen Investitionskosten
verbunden – alles Aufgaben, wo jeder Künstler froh ist, wenn er Leute hat, die
ihm diesen Job abnehmen. Oder glaubt jemand, Lady Gaga drehe ihre Musikvideos
mit ihrer eigenen iPhone-Kamera? Oder wäre ein Film wie „Fluch der Karibik“
ohne den entsprechenden personellen und finanziellen Background denkbar?
Nein, ich will nun nicht alle Argumente aufzählen, die dafür
sprechen, Kunst, die man konsumiert und einem gefällt, auch entsprechend zu
entlohnen, keine Sorge. Ich will auch nicht moralisieren, oder mich zum
hundertsten Mal über die Piratenpartei aufregen. Die oben zitierte Zuschrift,
von dem Downloader, der sich als Fan bezeichnet, ist der aktuelle Stand der
Dinge, und der ist weit über die aktuelle Debatte voraus.
Was entsteht da für eine Gesellschaft, in der man gar nicht
auf die Idee kommt, Kunst, die man genießt, zu entlohnen? Ist das die
Gesellschaft, von der Saschas Lobo in seiner Spiegel-Online-Kolumne sprach,
eine Gesellschaft, die ihre Künstler letzten Endes nur als verachtenswerte
Hampelmänner sieht? Wenn sich irgendwann mit der Kunst, die man macht, kein
Geld mehr verdienen lässt, macht man sie entweder nur noch nebenher oder gar
nicht mehr. Wird also Kunst zukünftig nur noch ein Abfallprodukt der Freizeit
von ansonsten anderweitig beschäftigen Menschen sein? Wenn Ideen, und mehr
noch: in eine bestimmte Form gebrachte Ideen, durch ein nichtexistentes
Urheberrecht Allgemeingut werden, wieviele Menschen werden dann noch Lust verspüren,
Zeit und Energie in die Entwicklung von Ideen zu stecken? Ansätze dieser um
sich greifenden Denkweise finden sich, außer im laxen Schöngerede und
Herabgespiele von illegalem Filesharing, zum Beispiel auch im Umgang der
breiten Öffentlichkeit mit Ex-Verteidigungsminister Guttenberg. Mit „Ach, der
hat halt ein bißchen abgeschrieben“ wurde sein Verstoß gegen das Urheberrecht entschuldigt.
Okay, das waren in erster Linie nur „Bild“-Zeitungsleser, aber hey, das ist
Deutschlands auflagenstärkste Zeitung.
Naja, nun. Ich habe bereits gesagt, ich habe nicht die
Universallösung. Die hat die Piratenpartei übrigens auch nicht, aber die haben
immerhin Forderungen (über die Umsetzung denkt man dann halt später nach, bzw.
gar nicht mehr). Am Ende hilft vermutlich nur die anthropologische Perspektive.
Der Mensch interessiert sich für die Folgen seines Handelns nur bedingt, sofern
es seinen Lebensstandard nicht unmittelbar betrifft. Solange das Auto fährt,
ist es egal wo das Öl herkommt, und wieviel Löcher die Karre noch in die
Ozonschicht bläst. Der Mensch sägt nunmal am Ast, auf dem er sitzt. Warum
sollte es beim Filesharing anders sein?
Ih, das wäre jetzt aber ein nihilistisches Ende für diesen
Text (den es übrigens für 0 Euro im Internet gibt, aber deshalb, weil ich es so
will). Schlagen wir also den Bogen, zu Joe und Jack, den beiden erfolglosen
Einzelhändlern vom Anfang.
Die haben inzwischen umgeschult auf Straßenmusiker, klampfen
alte Evergreens in der Fußgängerzone, und hoffen, dass die Leute nicht nur zum
Zuhören stehenbleiben, sondern ab und an mal einen Euro in den Hut werfen.
(Das war jetzt nicht weniger nihilistisch, aber fuck
it.)