Whitney Houston ist tot, und kaum war die Meldung draußen, ging das große GeR.I.Ppe los. R.I.P Whitney hier, R.I.P Whitney da, eine der Allergrößten ging von uns, blablabla, business as usual, wenn mal wieder eine über-seine-Hood-hinaus bekannte Person das Zeitliche segnet. Parallel zur breiten Masse der abwechselnd ehrlich-betroffenen und gedankenlos-mitlabernden R.I.Pper formierten sich natürlich die Kolonnen der Komiker, die blitzschnell irgendwelche geschmacklosen (aber nichtsdestoweniger lustigen) Witze ins www bliesen, Bilder mit blöden Sprüchen versahen („Claims she will always love you. Dies.“) oder twittertaugliche One-Liner formulierten („Der Tod von Whitney Houston ist der härteste Schlag gegen die Drogenmafia seit dem Ableben von Amy Winehouse“ war noch einer der Besseren). Nicht zu vergessen natürlich die Phalanx der Phrasendrescher, die, wie bei jedem toten Promi, nicht müde werden zu betonen wie scheißegal es doch sei, dass XY jetzt tot sei, und dass ja auch keiner der Trilliarden toten Kinder, die jeden Tag in Afrika sterben, gedenkt usw. Wie gesagt, business as usual im Gefällt-mir-Zeitalter.
Klar, wenn ein Mensch stirbt, dann ist das für seine Angehörigen eine Tragödie, so etwas wünscht man keinem, und darüber gibt es auch keine Diskussion. Aber bei Menschen, die zugleich Personen des öffentlichen Lebens sind, verhält es sich ein wenig anders. Liegt ja auch in der Natur der Sache: wenn man sich schon zu ihren Lebzeiten ihr neues Lied, Kleid, Haus, Auto, Liebesleben usw. das Maul zerreißen kann, warum sollte es nach dem Ableben anders sein?
Und jetzt also Whitney Houston. Ich gestehe, ich habe vom Schaffen und Leben der Dame keine Ahnung. Klar kenne ich ihren mutmaßlich größten Hit “I Will Aylways Love You” aus dem Bodyguard-Soundtrack, der Song spielt in der gleichen Liga wie „Let The Music Play“, „Beat It“ und „Yesterday“, und ich will nicht wissen, wieviele Frauen zwischen 30 und 35 mit Whitneys souliger Interpretation von Dolly Partons Stück aus den 70ern ihr zerfetztes Hymen, wenigstens aber den ersten Kuss assoziieren.
Ansonsten bekam ich von Whitney Houston nur die ein oder andere Meldung über irgendeinen Alkohol- oder Drogenexzess mit, aber das ist bei „großen Stars“ ja inzwischen ein Standardsatzbaustein im Lebenslauf.
Mit großen Stars ist das sowieso immer so eine Sache, besonders wenn sie älter werden. Die Leute sind eigentlich gewohnt, dass große Künstler, Ausnahmetalente etc. jung sterben. Franz Schubert, der österreichische Komponist, wäre so ein Beispiel, ebenso der expressionistische Lyriker Georg Heym, von dem seit Amy Winehouse‘ Ableben wieder schwer bekannten „Club 27“ mit Jimi Hendrix, Kurt Cobain, Jim Morrison usw. mal ganz zu Schweigen. Die Leute mögen so etwas, ach, er war ja so talentiert, aber man weiß ja, die Besten sterben jung, blablabla. Interessant ist so etwas allerdings aus wissenschaftlicher Sicht. Musikforscher haben Schuberts Gesamtwerk analysiert und attestiertem ihm mit eine Vollendung seines Könnens mit 23 Jahren (er starb mit 30). Literaturwissenschaftler sagen das gleiche über Georg Heym, und dass Amy Winehouse sich stimmlich nicht mehr selber hätte übertreffen können, das werden wohl auch viele abnicken.
Es gibt Künstler, die es schaffen, sich immer wieder neu zu erfinden, die immer wieder etwas neues schaffen – die sterben dann in der Regel auch nicht jung. Was ist aber mit den anderen? Mit den großen Künstlern, die, pardon, auf dem Höhepunkt ihres Schaffens nicht rechtzeitig sterben? Der Star von gestern als Normalmensch von heute? Kaum vorstellbar. Nein, es hört sich zynisch, aber es ist so: diese Künstler müssen tatsächlich sterben, um wieder zu leben. Michael Jackson war so ein Fall. Nachdem seine Karriere anfang der 90er langsam, und dann dank der Kindesmissbrauchs-Vorwürfe immer schneller bergab ging, mutierte er mehr und mehr zu einem Freak, eine Art Untoter. Optisch ein androgynes Alien, machte er zuletzt nur noch Schlagzeilen mit seinem Schuldenberg oder, in den Boulevard-Nachrichten, als er sein Kind aus dem Fenster eines mehrstöckigen Hauses hielt. Erst der Tod brachte ihm die Erlösung: da war er in der öffentlichen Wahrnehmung wieder der größte Popstar der Welt, der zwar irgendwann abrutschte und zur tragischen Figur wurde – aber eben doch der größte Popstar der Welt war.
Mit Whitney Houston wird es ähnlich laufen. In den 2000er Jahren floppten ihre Alben durch die Bank, der Sängerin versagte des öfteren die Stimme, ein Comebackversuch 2009 wurde von der Kritik als „misslungen“ eingestuft. Jetzt wird die nächsten Wochen wieder bis zum Erbrechen „I Will Always Love You“ auf sämtlichen Kanälen gedudelt, bis der nächste Promi stirbt.
Aber seien wir ehrlich: Whitney Houston kann sich post mortem eigentlich nicht beschweren. Sie hat zu Lebzeiten einen Welthit geschaffen, einen Evergreen, den sehr viele Menschen noch sehr lange hören werden, ob nun bei der Entjungferung, bei Hochzeiten oder einfach weil sie das Lied mögen. Große Kunst ist zeitlos, und es liegt in ihrer Natur, dass sie den Künstler selbst übersteht – ansonsten wäre sie nicht groß.
Eine Frage habe ich allerdings, und zwar an diejenigen, die jetzt am lautesten „R.I.P WHITNEY“ schreien und sich über die Pietätlosigkeiten der Twitterwitzbolde echauffieren: kennt ihr eigentlich die Musik, die Mrs. Houston nach den 90ern gemacht hat? Oder habt ihr via Desinteresse oder Missachtung mit dafür gesorgt, dass ihre Alben ab 2000 floppten?
Das interessiert mich jetzt schon.
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vor 16 Jahren