Eigentlich habe ich mir vorgenommen, mich nicht mehr groß mit der BPJM, ihrer Spruchpraxis und den Gremiums-Entscheidungen zu befassen, genauso wie ich mich nicht mit Wahlprogrammen, der Berichterstattung über die Griechenland-Krise und Pippi-Langstrumpf-Verfilmungen befasse. All das regt mich nur auf, und die Aufregung nutze ich lieber sinnvoll.
Nun wird mir die Beschäftigung mit der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien leider aufgezwungen, da inzwischen in regelmäßigen Abständen Schreiben aus der Bonner Behörde eintrudeln, in welcher Hirntot Records mitgeteilt wird, dass diese oder jene CD mal wieder dazu taugen KÖNNTE, gefährdungsgeneigte Jugendliche sozialethisch zu desorientieren und zu verrohen. Soweit, so gut.
Zugegeben: Hirntot Records ist bei Ihrer Behörde, liebe Beisitzer, nicht unbedingt auf die liebevollste Art & Weise vorstellig geworden. In einem allseits bekannten Track, dessen Namen ich nicht nennen darf, haben wir den Jugendschützern im allgemeinen und Monika Griefahn im speziellen kräftig vor's metaphorische Schienbein getreten - eine Aktion, von der wir heute selber wissen, dass sie überzogen war. Einsicht schützt vor Strafe nicht, aber das Thema kennen wir ja alle. Auch um den Eindruck, den die Damen & Herren von uns denn hatten, ein wenig zu korrigieren, reisten wir persönlich zu einem Termin nach Bonn, da wir gegen eine Indizierungsentscheidung Widerspruch eingelegt hatten, und saßen dem gefürchteten 12er-Gremium Auge in Auge gegenüber.
Anders als erwartet war das kein aus Grundsatzhatern bestehendes Tribunal: wir hatten eine Runde von durchaus sympathischen Mitbürgern vor der Nase, und redeten mit denen halt über unsere Musik, auf eine analytische Art und Weise, wie man sie sich als Künstler im Grunde genommen nur wünschen kann. Wort für Wort gingen wir gemeinsam die Texte durch, hie und da schmunzelten manche oder zogen die Augenbrauen hoch, es wurde über Nebensätze und Verlegenheitsreime diskutiert, doch, es war ein nettes Gespräch. Dass die CD letzten Endes doch indiziert wurde, trübt das Ganze natürlich etwas, aber gut. Weiter im Text.
Ich habe also, wie sich sicherlich jeder denken kann, nun mit meinem Vorhaben gebrochen und mich wiedermal auf www.bundespruefstelle.de umgeschaut, und da fielen mir sofort 2 Dinge ins Auge.
Zum einen: Die "Freitag, der 13."-Filmteile 5 bis 8 sind vom Index runter. Einfach so. Keine Folgeindizierung. Wir erinnern uns: "Freitag, der 13.", das ist Jason Vorhees, der Eishockey-Atze mit der Machete, das ist der, der im Gegensatz zu Michael Myers aus "Halloween" keinen halbwegs psychologischen Unterbau hat, nein - Jason, das ist der anonyme, gesichtslose Schlächter, der seit zig Filmen Camp Crystal Lake unsicher macht, wahllos Teenies schlachtet, dessen Motivation nie so richtig erklärt wird (außer, dass er als Kind von den anderen wegen seines Aussehens gemobbt wurde und dass seine Mama 'nen Knall hatte gibt's da ziemlich wenig). Also genau der Jason, der nach den Maßstäben der BPJM, die ja bekanntlich selbstzweckhafte" Gewalt als besonders verwerflich ansieht, die größte Sau von allen sein müsste - was, liebe Gremiumsbeisitzer, ist bitte selbstzweckhafter, als unmotiviertes und wahlloses Metzeln? ERKLÄRT ES MIR! - also, DIESER Jason, der nichts anderes zu tun hat als jeden Teenie auf irgendeine Weise zu filettieren, der ist plötzlich nicht mehr geneigt, Jugendliche zu verrohen. Ich gieße mir jetzt lieber keine Tasse Kaffee mehr ein, merke ich gerade, mein Herzschlag ist auf Hundertachtzig.
Dass wir uns nicht falsch verstehen & um mich einmal tief durchzuatmen zu lassen: Ich find es gut, dass Jason weitestenteils von der Liste runter ist. Ich mag die "Freitag, der 13."-Filme, auch wenn sie unter filmischen Maßstäben Gurke auf Erdnussbutter sind, relativ storylose Schema-F-Slasher mit den immergleich herrlich dämlichen Pubertierlingen als Opfer des Machetenschwingers. Ich mag diese Filme gerade weil sie blöd und in gewisser Weise ehrlich sind, es geht da eben nur ums Metzeln, scheiß ma auf Kamera-Einstellungen und Atmosphäre à la "Halloween - Die Nacht des Grauens", das braucht kein "Freitag, der 13."-Teil: wir haben Nacht, wir haben einen See, wir haben eine Horde fickenderkiffendersaufender Kids und einen stummen Schlitzer, das muss genügen.
Und das müsste auch genügen, um den Film auf dem Index zu lassen, denn, ich wiederhole mich: Was zum Teufel ist selbstzweckhafter als ein Killer ohne Background, ohne echte Geschichte, ohne den Hauch einer menschlichen Regung, der es als Lebensaufgabe sieht einen hohe Body Count an blondierten Barbies und dumpfbackigen Quarterbacks zu erzielen? Ich sehe da gerade irgendwie nichts selbstzweckhafteres, und es bestätigt mich einmal mehr, liebe Gremiumsbeisitzerinnen und Gremiumsbeisitzer (das -innen hab ich oben vergessen, aber wir wollen ja politisch korrekt bleiben), es bestätigt mich darin, dass die Entscheidungen der BPJM pure Willkür sind.
Die groben Vorgaben, nach denen indiziert wird, lauten: "Ob ein gewalthaltiger Film als jugendgefährdend eingestuft wird oder nicht, hängt zum ersten davon ab, ob die Gewalttaten gegen Menschen bzw. menschenähnliche Wesen oder abstrakter gegen Phantasiefiguren ausgeübt werden und in einen Kontext eingebunden sind, der eine Relativierung der Gewalt im Sinne prosozialer Interpretation der Filmhandlung und das Mitleiden mit den Opfern verhindert oder zulässt. Außerdem wird die Einschätzung der Jugendgefährdung eines gewalthaltigen Films davon abhängig gemacht, ob Gewalt ein zentral prägender Bestandteil des Films ist, selbstzweckhaft, detailliert und realistisch dargestellt wird und womöglich "im Dienst einer guten Sache" als gerechtfertigt erscheint." (Quelle)
Mit diesen Vorgaben kriegt man locker jede "Tom & Jerry"-Folge, jeden Bud Spencer & Terence Hill-Klopper und jeden Patricia Highsmith-Krimi auf den Index, die Vorgaben sind sowas von weitläufig, unpräzise und offen, dass es tatsächlich der jeweiligen Laune der BeisitzerInnen geschuldet ist, was denn ma gerade jugendgefährdend ist und was nicht.
Und die BPJM weiß selber, dass die Spruchpraxis nicht "statisch" ist, wie sie konstatieren, sondern dem gesellschaftlichen Wandel unterworfen ist. Heißt: was heute jugendgefährdend ist, ist morgen vielleicht schon pädagogisch wertvoll. Heißt weitergedacht: Der persönliche Geschmack entscheidet, welche Gewalt aktuell selbstzweckhaft, zentral prägender Bestandteil des Films usw. usf. ist. Heißt bis zum bitteren Ende gedacht: es herrscht tatsächlich Willkür in der Behörde. Sorry, liebe Gremiums-Beisi... (die Anrede-Floskel spar ich mir an dieser Stelle), aber bei Licht betrachtet machen Sie eben nichts anderes als das, was Ihnen gerade nicht passt, in den Giftschrank zu packen. Aber die Kritik kennen Sie sicher schon und perlt an Ihnen ab wie Wasser auf geölter Haut.
Kommen wir aber nun zu dem zweiten Punkt, der mir auffiel, und der hat nichts mit Indizierung, Folgeindizierung oder Listenstreichung zu tun. Beim weiteren herumstöbern auf den Seiten fand ich schließlich unter den "Häufigen Fragen" die folgende: "Ist eine Indizierung heutzutage überhaupt noch sinnvoll?"
Yum, dachte ich mir, endlich mal was frisches, dass sich die Kids irgendwelche indizierten Medien illegal aus dem Netz herunterladen, wenn es die halt nicht mehr zu kaufen gibt, hat sich inzwischen auch bis nach Bonn herumgesprochen, coole Sache, direkt mal lesen. Also las ich. Und zwar dies:
"Eine Indizierung durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien setzt ein wichtiges Zeichen gegenüber Produzenten und Vertreiber und signalisiert diesen, wann Inhalte gegen die in der Gesellschaft allgemein anerkannten Erziehungsziele und Werte verstoßen. Zugleich geben Indizierungen auch Eltern und allen Erziehenden wichtige Anhaltspunkte für die Medienerziehung." (Quelle)
Okay. Ich schenke mir nochmal Kaffee nach, für den Showdown brauche ich hohen Puls. Dieses kleine Textlein verrät uns zweierlei. Erstens: Die BPJM ist weder blauäugig-blöd noch verlogen. Sie sagen es zwar nicht direkt, aber sie wissen, dass dank Rapidshare & Co. jeder zehnjährige Stöpsel mit Internetanschluss sich das indizierte Medium halt auf illegalem Wege beschafft, dass das eigentliche Ziel, nämlich die Jugend vor verrohendem Schmutz und Schund zu bewahren, an keiner Stelle greift. Diese Einsicht ist gut, ist ehrlich, ist beinahe löblich. Aber nur beinahe, denn zweitens sagt uns dieser unschuldige Text wimpernklimpernd, dass es auch gar nicht darum geht, den Kids ihren Splatter-Spaß zu nehmen, sondern nur darum, den Vertreibern und Produzenten von verrohendem Schmutz und Schund ans Bein zu pinkeln, also Künstlern, deren Kunst man gerade nicht versteht oder die man nicht leiden kann, das Geschäft zu zerstören. Das ist ungefähr so, als würde man einen Mörder weiter frei herumlaufen lassen und statt dessen dem Hersteller der Waffe, die der Mörder benutzt hat, den Prozess machen. Ein pathetisch-überzogener Vergleich, ich weiß, aber das ist mir gerade mal ziemlich latte. Und auch diese schöne Formulierung, die Indizierungsentscheide gäben "auch Eltern und allen Erziehenden wichtige Anhaltspunkte für die Medienerziehung" ist, mit Verehrung, eine Unverschämtheit, denn damit sprechen Sie, werte BeisitzerInnen & Jugendschützern, den Eltern die intuitive Fähigkeit ab zu wissen, was gut für's eigene Kind ist. Ja, mag man jetzt einwenden, bestimmt gibt es hie und da Eltern, denen diese intuitive Fähigkeit abgeht. Das ist richtig, aber solche Eltern werden dann neben den Bedürfnissen ihres Kindes auch die "Anhaltspunkte" und Signale der BPJM geflissentlich ignorieren.
Liebe BPJM-Mitarbeiter, liebe ehrenamtlich tätige Gremiumsbeisitzer, liebe Jugendschützer, ich bin mir sicher, dass Sie allesamt gute und redliche Menschen sind, die für unsere Kinder nur das Beste im Sinn haben. Ich finde das auch äußerst lobenswert, denn Kinder sind unsere Zukunft. Ich bin mir sicher, dass Sie es allesamt gut meinen, aber das rechtfertigt nichts und entschuldigt noch weniger. Tun Sie das einzig richtige: reformieren Sie diese Behörde, passen Sie die BPJM und bitte auch sich selbst der Zeit an. Sie sagen es ja (implizit) selber, ihr ganzes gutgemeintes Tun ist für die Katz und schießt am eigentlichen Ziel meilenweit vorbei, jeder ultrabrutale Splatterkannibalenzombiegewaltporno, den Sie heute auf Liste B packen, zieht sich der Nachwuchs morgen aus dem Netz eben weil er indiziert ist. Ja sicher, der Vertreiber/Produzent/Künstler ärgert sich über einen Listeneintrag, aber bringt es etwas? Schauen Sie sich bitte die Film- und Musikveröffentlichungen der letzten Jahre an, diese Kunst, pardon: dieser Schund ist gesellschaftsfähig geworden. Ich wiederhole: reformieren Sie die Behörde, tun Sie etwas sinnvolles. Lehren Sie die Kids Medienkompetenz, lehren Sie die Kids, wie sie mit diesen Bildern, Worten umgehen müssen. Sie kriegen weder Saddams Hinrichtung aus dem Netz noch von den Schulhof-Handys runter, also bringen Sie den Kindern bei damit umzugehen. Meinen Sie es nicht nur gut, machen Sie es auch gut. Verwerfen Sie Methoden, wenn sie überholt sind. Sie können nicht mit einer einschüssigen Muskete aus Napoleons Zeit in den Krieg ziehen, wenn Ihr Feind Satellitenortung, vollautomatische Maschinengewehre und Mörser hat. Reformieren Sie die Behörde. Fangen Sie an, diejenigen, die Sie beschützen wollen, zu verstehen. Reden Sie mit ihnen. Und viel wichtiger: Hören Sie ihnen zu. Dass die Jugend orientierungslos, leistungsschwach und dumm wie blöd ist wissen wir seit Sokrates, aber das ändert nichts daran, dass auch diese Jugend erwachsen wird, und ihrerseits dann die Jugend für orientierungslos, leistungsschwach und dumm wie blöd hält. Durchbrechen Sie diesen sinnlosen Kreislauf: reformieren Sie die Behörde. Erinnern Sie sich zurück, als Ihre Eltern Elvis als Sexmonster verteufelten, die Beatles als pilzköpfige Drogenjunkies verdammten oder Ihnen die Tarzan-Comics wegnahmen, weil Ihre Vorgänger bei der BPJM diese Comics für entwicklungsgefährend hielten. Und ja, für Ihre Eltern war das ganze Teufelszeug damals genauso widerlich wie Ihnen diese ganze menschenverachtende Rapmusik, diese üblen Splatterfilme und diese noch viel schlimmeren Killerspiele. Reformieren Sie die Behörde. Reformieren Sie Ihre Denkstrukturen. Öffnen Sie sich dem Neuen. Seien Sie nicht einer von diesen engstirnigen, bornierten und festgefahrenen Spießern, die Sie früher so verachtet haben. Die wussten es damals nicht besser, und Sie wissen es heute nicht. Ist mein pathetisches Gequatsche gerade verlorene Liebesmüh'? Bin ich gerade Don Quixote? Gebe ich den Sisiphos? Nicken Sie nicht zu voreilig, liebe Jugendschützer, denn auch Sie haben Ihre Windmühlen zu bekämpfen und ihre Steine zu rollen. Reformieren Sie die Behörde. Ich weiß, diese Wiederholungen beginnen zu nerven, aber jetzt wissen Sie wie es mir geht, wenn ich einen neuen Indizierungsbescheid aus dem Hirntot-Postfach fische. Ich habe noch etwas Kaffee gemacht, ich bin gerade auf Hundertachtzig, ich stehe kurz vor dem Herzinfarkt, und alles nur weil Sie es gut meinen.
Ich werde mir jetzt gleich noch einen nach §131 beschlagnahmten Kannibalenfilm ansehen, den ich mir uncut aus Österreich gekauft habe, ich werde mich dabei entspannen, wie irgendwelche schlecht gecasteten Indiokomparsen einem an den Marterpfahl gefesselten Kerl in Großaufnahme den Schniedelwutz abschneiden und wie eine Blondine ein paar Fleischerhaken durch die Titten gebohrt bekommt und dann daran aufgehangen wird. Ich werde mir das ansehen, und das wird meine ohnmächtige Wut über die Willkür Ihrer Behörde ein wenig auffangen, ich werde vielleicht danach schlafen, ohne mir wegen meines Ärgers über Sie im Schlaf die Zähne kaputtzuknirschen und einen weiteren Zahn abzubrechen.
Ich brauche einen neuen Backenzahn weil Sie es gut meinen.
Mit freundlichen Grüßen,
Schwartz
P.S.: Die Flüchtigkeitsfehler unterstreichen die Authentizität dieses Textes.
P.S.S.: Reformieren Sie die Behörde.
Wenn das SEK vor der Tür steht
vor 16 Jahren