Vor nicht allzulanger Zeit, am 17. September 2009, veranstaltete ein Schüler in seiner Schule, dem Carolinum-Gymnasium in Ansbach, einen Amoklauf, bei dem es glücklicherweise keine Toten gab, dafür einen Haufen Schwerverletzter (Details zu dem Fall finden sich hier). Das "Besondere" an der Tat: der Amokläufer wurde lebendig gefasst, und die Öffentlichkeit erhoffte sich nachvollziehbarerweise zufriedenstellende Erklärungen zu seinem Motiv, den Hintergründen etc. - in gewisser Weise ein Lichtblick, das Sündenbock-Shooting der Kommentarwichsmaschinen in öffentlichen Talksondersendungen blieb Otto Normalkillerspieler damit erspart. Aber gut.
Der Prozess gegen den Amokläufer von Ansbach endete heute mit einer neunjährigen Haftstrafe für den Täter sowie Unterbringung in einer Psychoklinik.
Der Fall wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt, was Spiegel-Online-Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen zu einer Artikelgurke mit dem Titel "Maulkorb für die Medien" veranlasste. Schon der Titel ist Magerquark mit Chili, denn kein Journalist bekam einen Maulkorb - es durfte halt nur kein Zeitungsfritze bei der Verhandlung anwesend sein, was im Ermessen des Richters liegt. Schließlich war der Angeklagte zum Tatzeitpunkt 18 Jahre alt und damit Heranwachsender, wie auch Frau Friedrichsen fairerweise anmerkt, so dass ein Ausschluss der Öffentlichkeit durchaus nichts Ungewöhnliches ist.
Aber weiter im Text. Nachdem der ziemlich schluderig formulierte und wahrscheinlich der hübschen Alliteration geschuldete Titel abgefrühstückt ist folgt nach einer kurzen Einleitung Frau Friedrichsens empörte Frage: "Gibt es wirklich durchgreifende Gründe, warum die Öffentlichkeit, und das sind in erster Linie die Medien, an diesen Informationen nicht teilhaben soll?"
Und hier kann denn auch eigentlich aufhören zu lesen, denn: natürlich, liebe Frau Friedrichsen, gibt es durchgreifende Gründe. Ein Gerichssprecher sagte am Ende der Verhandlung, der Amokläufer wollte auf diese Weise Selbstmord begehen, er wollte die Tat regelrecht inszenieren, um dann von der Polizei erschossen zu werden. Und wie ist er wohl auf diese Idee gekommen? Was hat ihn zu dieser Tat inspiriert? Nein, weder Killerspiele, noch Splatterfilme, noch sonstwas. Auf so eine Idee kann man wohl nur kommen, wenn man sich z.B. die Berichterstattung deutscher Medien über School-Shootings von Erfurt bis Winnenden anschaut.
Wenn der Täter, wie damals z.B. von BILD, in heroischer Pose mit Kampfanzug und Waffe großflächig abgebildet wird, wenn ein paar Tage lang sich das ganze mediale Land die Hirnwindungen über mögliche Motive weichfaselt und wenn Möchtegern-Profiler von SPIEGEL bis FAZ die Psyche des Amokläufers durchleuchten und ihn zum in-sich-gekehrten, stillen Outlaw hochstilisieren (fehlt nur noch der Direktvergleich mit irgendeinem Italo-Western-Protagonisten), dann - ja, was dann? Dann können mitunter in-sich-gekehrte, stille Outlaws mit dem entsprechenden Blechschaden in der Birne durchaus auf die Idee kommen, dass, wenn ja eh schon alles scheiße ist, man zumindest für einen öffentlichkeitswirksamen Abgang sorgen kann, indem man sich durch ein Schulgebäude schießt.
Dass diese gar nicht mal alllllllzu weit hergeholte These natürlich mit keiner Silbe und in keiner Zeitung erwähnt wird, liegt in der Natur der Sache, denn dann müsste jene Medien, die Informationspflicht und Sensationsgeilheit gerne mal durcheinanderbringen, wirklich einen Maulkorb bekommen.
Von ihrem eigenen Gewissen.
Wenn das SEK vor der Tür steht
vor 16 Jahren