Oft schreiben mir Leute, dass sie sich jetzt auch an Rap versuchen möchten, und ob ich ihnen nicht Tipps geben könnte. Obwohl ich glaube, dass es da sicher geeignetere Ansprechpartner gibt als mich, will ich mal nicht so sein, und da ich gerade ein paar Minuten zeitlichen Überschuss habe, kann ich im gleichen Zuge diesen leicht mumifizierten Blog ein wenig wiederbeleben. Fangen wir also an.
1. Keiner wartet auf dich
Es ist vielleicht symptomatisch für eine Musikrichtung, die mehr oder minder aus lyrischen Schwanzvergleichen heraus entstand, dass von Rappern erwartet wird mit dem Selbstbewusstsein eines Kingkong durch die Gegend zu stapfen und lauthals zu verkünden, dass man das sog. "Game" nun vollends ficken wird, dass alle Haster sich zurückziehen können und man für Hiphop in ungefähr das ist, was Jesus fürs Christentum war. Verabschiede dich von dem Gedanken. Mach dir bewusst, dass keiner auf dich wartet, dass es sicherlich nicht noch einen Rapper braucht, der der Welt ungefragt seine Meinung oder seine Biographie um die Ohren klatscht. Schau dich auf Myspace um: es gibt mehr Rapper als Kfz-Mechaniker in Deutschland. Jeder Raphörer versucht sich früher oder später auch mal an der Sache, und du bist nicht anders. Du bist bloß einer von vielen, nichts besonderes. Das ist hart, aber die Wahrheit, leb damit und nimm es als Grundlage für alles weitere.
2. Vernachlässige den Text, bau auf deine Stimme
Aus irgendeinem Grund hat Rap den Ruf, dass die Texte das wichtigste seien. Das mag dran liegen, dass es in keiner anderen Musikrichtung mehr Text gibt als hier und bei manchen Storytellern oder akrobatischen Reimspielereien ist ein guter Text unerlässlich, aber ein Anfänger kann auf den Text getrost scheißen. Aus diesem Grund kannst du dich auch aus diesen merkwürdigen Freetype-Foren fernhalten, also Internetforen, wo man sich Battles per getippten Textzeilen liefert. Das ist ein netter Zeitvertreib, aber hat mit Rap nichts zu tun. Rap funktioniert nicht über die Schrift, sondern über den Sound, und damit meine ich nicht das Geklacker der Tastatur. Das erste, was ein Hörer von dir wahrnehmen wird, noch bevor der Sinn des Textes an sein Ohr gedrungen ist, ist deine Stimme und deine Vortragsweise, also der Flow. Das bedeutet: Arbeite an deiner Stimme. Klar, nicht jeder ist mit einer guten Stimme gesegnet, aber es kommt nicht drauf an Barry-White- oder Leonard-Cohen-mäßig gefällig zu klingen, sondern stimmlich aufzufallen. Legendäre Rapper wie B-Real von Cypress Hill, Eazy-E, Flavour Flav oder auch Busta Rhymes haben alles andere als gefälllige, aber dafür umso markantere Stimmen. An deiner Stimme groß etwas ändern kannst du nicht, aber du kannst lernen sie einzusetzen. Experimentiere herum, nimm dich in unterschiedlichen Stimmlagen auf und höre es mir anschließend an, schau, was dir selber am Besten gefällt. Und keine Angst vor dem Mikrofon: dem macht es nichts aus, wenn du es anschreist. Das größte Manko von Anfängern ist Unsicherheit oder Angst vor dem Mikrofon, halbgeflüstertes, eierlos klingendes Genuschel. Versuche nicht krampfhaft anders zu klingen, mach was dir gefällt, aber achte drauf, dass deine Stimme nicht wie jede andere klingt. Und wenn du halt eine gelangweilte Stimme hast, dann kultiviere diese Langeweile stimmlich. Ich bin sicher, du weißt was ich meine.
3. Steh zu deinen Vorbildern und entwickle deinen eigenen Stil
Jeder hat Vorbilder, das ist ganz normal. Wer behauptet keine Vorbilder zu haben, will sie lediglich nicht wahrhaben, und betrügt somit sich selbst und den Hörer. Klar werden deine ersten Rapversuche maßgeblich von deinen Vorbildern beeinflusst sein - das ist ganz natürlich. Aber solange deine ersten Rapversuche nicht an die Öffentlichkeit kommen, ist das egal. Studiere den Rap deiner Vorbilder. Dass sie dir gefallen ist klar, aber WARUM gefallen sie dir? Finde es heraus und du kannst dich von ihrem Einfluss freimachen. Lass dich ruhig weiterhin von ihnen inspirieren, verwende Teile ihrer Texte oder Flows und baue sie als kleine Hommage in deine eigenen ein, aber mach nicht den Fehler zu kopieren oder nachzuahmen. Entwickle deinen eigenen Stil. Das kann mitunter ein langwieriger Prozess werden, aber wenn du nicht einer von vielen Imitaten sein willst, ist es notwendig. Dein eigener Stil ist das einzige, was dich von anderen abhebt. Viel mehr Worte kann ich dazu nicht sagen, vielmehr Tipps auch nicht geben, es ist schließlich DEIN Stil.
4. Halte deinen Stuff zurück
Der Hörer wird am Ende nicht wissen, dass du drei Nächte am Stück an diesem einen Part gesessen hast, ihn zehnmal neu aufgenommen hast, er wird nicht sehen, wie du stundenlang an den Backups herumexperimentiert hast. Der Hörer wird nachher nur feststellen, dass du halt in der dritten und achten Zeile offbeat bist und den Track scheiße finden und abhaken. Halte dich also zurück. Wenn du nicht mit einem natürlichen Taktgefühl gesegnet bist, übe dich in Rhythmik. Einer der größten Fehler von Anfängern ist, dass sie so stolz auf ihren fertigen Track sind, dass sie vor lauter Fassungslosigkeit nicht merken dauernd neben dem Takt zu sein oder stimmlich zu verkacken. Die vernichtenden Kritiken treffen sie dann umso härter. Also: übe, übe, übe, und wenn du halt diese eine Stelle mit dem Text auch beim achtunddreißigsten Mal nicht ohne zu Holpern hinkriegst, dann versuche es ein neununddreißigstes Mal. Und sei beruhigt: mit der Zeit wird dein Rhythmus- und Taktgefühl sich schärfen, das liegt in der Natur der Sache. Später wird das alles routinierter, später brauchst du keine vierzig Anläufe mehr für eine Strophe. Aber jetzt eben schon. Nimm dir die Zeit, wenn du nicht einer von vielen sein willst. Die Hörer, denen du nachher ungefragt deine Ergüsse servieren wirst, werden es dir danken. Damit kommen wir auch direkt zum nächsten Punkt.
5. Scheiß auf das Feedback
Dank Myspace und Internet-Rapforen kann man sich innerhalb kürzester Zeit von einer anonymen Öffentlichkeit Kritik und Feedback einholen, und wie man gemeinhin sieht, wird diese Möglichkeit auch gerne genutzt. Aber bitte nicht von dir. Du brauchst kein Feedback. Dein Track ist ein Angebot für eine potenzielle Hörerschaft, es ist dein Track, du stehst dahinter, du weißt genau warum du den Track so und nicht anders gemacht hast. Feedback à la "Der Reim da ist doof und dort solltest du lieber dies machen" ist sinnlos, denn du weißt warum du diesen doofen Reim da benutzt hast und dass du es ganz bestimmt nicht anders machen wolltest. Du kennst deinen Stil und stehst dahinter. Wenn du auf andere angewiesen bist, die dir dann sagen, dass du offbeat bist oder deine Stimme nach undeutlichem Gewisper klingt, dann ist es zu früh für eine Veröffentlichung. Wenn dir Reime egal sind, werden die Hörer dich sicherlich auf deine billigen "Rhymes" aufmerksam machen, aber es kann dir egal sein, weil du mit anderen Maßstäben an die Sache gehst. Deine Tracks werden nicht jedem gefallen, Geschmäcker sind eben verschieden. Also frage nicht nach Feedback, du kennst weder die Kompetenz der Internetuser noch ihren Geschmack, es wird dir in keinem Falle helfen.
6. Sei realistisch
Okay, du hast nun deinen ersten Track fertig, der Text ist unfallfrei eingerappt, er ist untegrrundmäßig, aber anhörbar abgemischt worden und nun hau ihn raus, auf welche Art auch immer. Aber sei realistisch. Denk an Punkt 1, es wartet immer noch keiner auf dich, du bist nach wie vor einer von vielen.
Beweise ihnen das Gegenteil!
Viel Erfolg!
Wenn das SEK vor der Tür steht
vor 16 Jahren