Sonntag, 17. Mai 2009

Rap und Geld

Natürlich scheißt du aufs Geld. Du machst Musik aus Liebe zum Rap, aus allen möglichen Gründen, nur nicht für's Geld, daran denkst du gar nicht. Dein Traum ist es, deine CD im Media-Markt unter den Neuerscheinungen zu sehen, oder ein Publikum zum Ausrasten zu bringen. Du rappst aus Spaß, weil du Rap immer gerne gehört hast und weil dich irgendwas antreibt, das dir sagt, dass du es besser machen willst und kannst. Also fängst du an, über Myspace ist das kein Ding. Du stellst deine ersten Tracks online, die Resonanz ist positiv, du freust dich. Dann merkst du, dass die meiste Resonanz von Leuten kommt, die selber auch rappen, du schaust dich auf Myspace um, und ein leichtes Unbehagen beschleicht dich, denn dem Angebot von einer regelrechten Armada aus Nachwuchsrappern steht eine verschwindend geringe Gruppe von Leuten entgegen, die Rap "nur" hören. Aber gut, du hörst dir die Mucke von den Leuten, die dich gelobt haben, an und findest es okay, manche sind vielleicht besser, aber die meisten sind schlechter. Du machst mehr Tracks, du verfeinerst deine Technik, deinen Stil, du machst Features mit ein paar Leuten, die deine Tracks positiv kommentiert haben (ausgenommen der nervtötende Spast da mit dem Headset und ohne jegliches Taktgefühl). Du veröffentlichst eine Free-EP, dein ganzer Stolz, du hast dir Mühe gegeben. Aber es ist eine von vielen, wie du feststellen musst, eine von tausenden, hunderttausenden.
Reicht dir das? Einer von Tausenden zu sein? Wenn ja, wirst du noch ein paar Free EPs machen und irgendwann das Interesse an Rap verlieren, du wirst Ausbildung/Schule/Studium zu Ende bringen, einen Beruf ergreifen, und dein Traum von einer Rap-Karriere ist irgendwann verblasst, irgendwo abgeheftet zwischen "Traumberuf Astronaut" und dem Lottogewinn.
Man sagt ja auch, man solle aufhören, wenne s am Schönsten ist. Aber es reicht dir nunmal nicht, Free-EPs genügen dir nicht mehr, du willst mehr. Das liegt in der Natur der Sache. Du denkst natürlich nicht ans Geld, aber dein Traum von der CD im Media-Markt, dem Auftritt vor tausenden begeisterten Fans, sitzt dir im Nacken und treibt dich an. Die Kommentare deiner Hörer werden überschwänglicher, "Der hat's voll drauf", "aus dem könnte was werden" usw., alles Dinge, die dich bestätigen. Du stellst ein Demo zusammen, verschickst es an ein Fachmagazin, an Labels. Es gibt keinerlei Resonanz, aber damit hast du gerechnet, also machst du weiter, noch eine Free-EP, ein Auftritt, ein neues Demo. Du willst dranbleiben, denn die meisten geben an dieser Stelle auf, sie verlieren den Spaß an der Sache, hassen das "Game", die angebliche Korrumpiertheit der ganzen verfickten CEOs und Redakteure, die ihre Genialität nicht erkennen wollen, sie machen Ausbildung/Schule/Studium zu Ende, ergreifen einen Beruf und hören nur noch Schlager, die alten Rap-CDs werden auf Ebay vertickt.
Aber zu denen gehörst du nicht. Du bist beharrlich, du bleibst dabei, dein Traum treibt dich an.
Und dann geschieht einer dieser Zufälle, du lernst jemanden kennen, der jemanden kennt, irgendein Praktikant bei einem Magazin entdeckt dein Demo im Mülleimer und schiebt es aus Langeweile ein, ist begeistert und gibt es weiter, whatever: irgendetwas passiert, was dir das Gefühl gibt, voranzukommen, du bekommst eine Chance. In einem Fachmagazin wirst du in einem Nebensatz als Geheimtipp erwähnt, du bist der Ohnmacht nahe. Deine Hörer, Fans, was auch immer, freuen sich für dich, sie warten gespannt auf neuen Stoff von dir, du recordest neue Tracks, gibst dir Mühe, du willst es allen Beweisen.
Ein Label wird auf dich aufmerksam, wahrscheinlich ein kleines, natürlich kein Major, aber das ist dir egal, du bekommst so etwas wie einen Deal, die Konditionen sind dir scheißegal, hauptsache es geht vorwärts. Du bringst ein Mixtape oder eine EP raus, sie steht nicht im Media-Markt, aber es ist ein Anfang. Du wirst gebucht, trittst vor ein paar Leuten auf, du wirst gefeiert, du kannst es kaum fassen. In der Zeitschrift haben sie dich als "Newcomer-Geheimtipp" klassifiziert, sie bringen einen Artikel über dich, vielleicht ein kleines Interview, deine EP bzw. das Mixtape werden positiv besprochen, du fühlst dich wie Gott. Deine Fans feiern dich, sie lieben deinen Scheiß, sie verbreiten ihn im Freundeskreis, dein Deal sieht ein Album vor, eines, was auch im Media-Markt stehen wird, du machst dich dran, du arbeitest hart, du willst es allen beweisen.
Dann erscheint dein Album, und dein Traum ist erfüllt, du gehst zum Media-Markt, da steht es, du fühlst dich wie Gott, das ist DEIN Album. Es ist dir scheißegal, wieviel du verkaufen wirst, das ist DEIN Album. Eine Fachzeitschrift bespricht es, vielleicht positiv, vielleicht negativ, schlimmstenfalls überschwänglich, denn dann könnte ein Hype generiert werden, und der wäre tödlich, aber davon willst du jetzt sowieso nichts wissen, es ist nicht wichtig. Es wird positiv besprochen, deine Fans sind begeistert, die alten Leute von Myspace schreiben dir, auf einmal wollen sie alle ein Feature mit dir, natürlich wollen sie das, sie erinnern dich daran, dass sie es doch waren, mit denen du damals deine ersten Tracks gemacht hast, aber du antwortest schon gar nicht mehr auf die Mails, es gibt zuviel zu tun, ein paar Auftritte müssen absolviert werden, Album-Promo, das ganze Programm, du bist jetzt ein Teil davon, mit deiner CD im Media-Markt.
Man sagt, man solle aufhören, wenn es am Schönsten ist. Aber du merkst, dass die Erfüllung eines Traumes nur bedeutet, dass neue Träume an die Stelle treten.
Du kannst nicht aufhören, denn ES hört nicht auf, die CD steht bei Media-Markt, eine zweite muss hinterher. Du gibst Interviews, bringst die typischen Antwortphrasen auf typische Fragen, Hiphop ist dein Leben bzw. du scheißt auf Hiphop, je nachdem. Dein Album läuft gut, die Leute sind begeistert, auf einmal reviewt jedes Magazin dein Album, die Leute behandeln dich anders. Auf der Straße wirst du noch nicht erkannt, aber manchmal gucken Leute komisch, so als ob sie dich von irgendwoher kennen. Du bekommst etwas Geld, du freust dich, es ist natürlich nichts im Vergleich zu dem Fame, dem neuen Lebensgefühl als Rapper, aber es ist ein Bonus, kauf dir was Schönes davon.
Du kriegst immer mehr Post, die Leute fragen, wann es neuen Stoff von dir gibt, sie sind verrückt nach dir, du fühlst dich wie Gott. Die alten Leute von Myspace ärgern sich, dass du ihre Mails nicht mehr beantwortest, vor allem der Spast mit dem Headset und ohne Taktgefühl, er schreibt wie scheiße du geworden bist, eine arrogante Sau, aber das ist dir egal, der harte Kern deiner Fans ist da, sie lieben dich und deinen Stil, dein Album läuft gut, du bekommst noch etwas Geld, kaufst dir was Schönes.
Dann werden die Fragen nach dem zweiten Album lauter, man sieht das Potenzial in dir, aus dir könnte was werden, merkwürdige Weiber kommen auf einmal an, die dich vorher mit dem Arsch nicht angeguckt hätten und buhlen um einen Schluck deines Erbguts, du fühlst dich wie Gott, es läuft phantastisch.
Man sagt, man solle aufhören, wenn es am Schönsten ist. Das soll wohl ein Witz sein!
Dein Label meldet sich, ein Major hat Interesse angemeldet. Sie würden dein zweites Album gerne rausbringen, sie sehen Potenzial in dir, sie besorgen die Promo, sie regeln alles. Und du hörst zum ersten Mal das Wort "Vorschuss". Und auf einmal ist auf deinem Konto mehr Geld als jemals zuvor, für nichts, für dein zweites Album, was du noch nichtmal angefangen hast. Du fühlst dich wie Gott.
Die Zeitschriften schreiben, die Erwartungen an dein zweites Werk sind hoch, natürlich sind sie das, aber hey, du hast es schließlich drauf. Du kaufst dir eine Menge schöner Sachen von dem Vorschuss und machst dich an dein zweites Werk, aber du merkst, dass es schwieriger ist, die Erwartungen an dich, die kanntest du schon, aber sie waren nie so erdrückend. Aber das ist egal, dein Major hat die Stadt mit dem Cover deines neuen Albums plakatiert, die Leute, die dich komisch angucken werden immer mehr, manche kommen auf dich zu und sagen "Ey bist du nicht DU?" und du sagst "Ja" und bist stolz, du fühlst dich wie Gott. Du gibst Interviews, du lädst deine Kumpels zum Saufen ein, du hast auf einmal eine Menge neuer alter Kumpels, sie nennen dich "den Starrapper" im Spaß, aber dich beschleicht das Gefühl, dass sie es auch so meinen.
Du hast ein paar Tracks vom zweiten Album fertig, aber es will irgendwie nicht so recht, und auf einmal ruft einer vom Major an, und du lernst nach "Vorschuss" das zweite wichtige Wort kennen, es heißt "Deadline", dein Album muss fertig werden. Na gut, denkst du, scheiß drauf, du kackst ein paar Tracks hin, ein paar namhafte Produzenten werden das schon aufmöbeln.
Man sagt, man solle aufhören, wenn es am Schönsten ist. Aber man kann nicht aus einem Riesenrad steigen, wenn es ganz oben ist.
Dein zweites Album erscheint. Du hattest Pech, denn das erste Album hat einen Hype generiert. Der Jubel in den Fachzeitschriften fällt verhalten aus, naja, es ist okay, aber kommt nicht ans erste Album ran, aber das ist nicht das Schlimme. Deine alten Fans, die dein erstes Album so gefeiert haben, sie werden verdrießlich, das ist irgendwie nicht mehr so wie das Alte, stänkern sie, damals war mehr Herz dabei, das klingt irgendwie nach Geldmacherei, seit du beim Major bist geht's bergab, immer öfter liest du sowas in den einschlägigen Foren und irgendwie machen dir die Beiträge des Spasten mit dem Headset und ohne Taktgefühl auf einmal was aus, wenn er wieder schreibt, er habe es ja schon immer gewusst, du seist 'ne arrogante Sau, deine Mucke wäre richtig kacke und deine neuen Fans sind alles Opfer. Überhaupt, die neuen Fans. Es sind viele, die Promo durch deinen Major hat sie angezogen, sie lieben dich, sie sagen, deine Mucke wär ihr Leben, sie feiern dich wie einen Gott, und fast alle haben dein Album heruntergeladen.
Dein Major meldet sich, das Album blieb hinter den Erwartungen zurück, der Verkauf ist schleppend, naja, eigentlich beschissen. Du bist sauer, du sagst, du willst ein drittes machen, du willst es allen beweisen, ein drittes, mhm, man müsste mal sehen, sagen sie, aber in Wahrheit haben sie dich längst aufs Abstellgleis gestellt. Deine neuen Fans, sie kommen wenigstens zu deiner Show, manche jedenfalls, aber es bleibt hinter den Erwartungen zurück, alles, irgendwie. Deine alten Fans werden immer biestiger, es kommt dir so vor, als ob sie dich regelrecht hassen, wenn du manchmal abends in den Foren nachliest, was sie so schreiben, du habest deinen Arsch verkauft, du seist 'ne Kommerzhure geworden, die Majorschwänze bläst, das ganze Programm.
Dein Hype ist vorbei, nun hat dich die Realität wieder. Leute erkennen dich auf der Straße, aber es ist irgendwie anders geworden, deine zweite CD hat zwar jeder, aber irgendwie hat keiner für sie bezahlt, so kommt es dir zumindest vor. Du schlägst die Zeitschriften auf, dort steht nichts mehr über dich, da ja auch nichts neues mehr kommt, andere Namen stehen dort, neue Namen, neue Newcomer, neue Geheimtipps. Manchmal taucht dein Name noch auf, aber es ist anders, wie gesagt. Du wirst depressiv, wütend, du weißt nicht wohin mit deiner Wut, du würdest gerne ein neues Album machen, aber dein Major lässt dich nicht, du überlegst ob du es wieder independent machen sollst, du willst es allen beweisen, aber es ist irgendwie alles wieder wie zu Beginn, wie bei Myspace, du bist einer von vielen, von sehr vielen.
Dein Vertrag mit dem Major läuft aus, du bist wieder frei, du hast die ganze harte Zeit über an dem Album gesessen, dem neuen, wo du deine Wut, deinen Hass, deine Verletztheit reingesteckt hast, du bringst es independent raus. Es spielt nichtmal die Presskosten ein, denn es gab keinen Major der Promo gemacht hat, die Magazine haben am Rande darüber berichtet. Deine neuen Fans wissen von dem Album nichts, und die alten wollen von dir nichts mehr wissen. Du sitzt auf einem Haufen CDs und fragst dich, was die ganze Scheiße eigentlich noch soll.
Und dann denkst du dir, na gut, und kündigst groß an, dass du aufhören wirst mit Rap, ein letzter Schrei nach Aufmerksamkeit, darüber berichten sie sogar alle, ebenfalls eine Randnotiz, eine Meldung. Und dann sitzt du abends da, liest in den Foren, was sie über dich schreiben, über deine Rücktrittsankündigung, ist eh nur Promo, sagen sie, gut, dass der Spast endlich aufhört, sagen sie, ein Opfer weniger, manche sagen, sie mochten dich, aber ein echter Verlust wäre es nun auch nicht, ganz wenige nur ergreifen Partei für dich, aber sie sind die absolute Minderheit gegenüber denen, die sagen "Er hat doch eh nur wegen der Kohle gerappt, gut dass er aufhört".
Okay.
Nun kannst du aufhören.