Als ich hörte, dass die die Jugendorganisation der Linken, »Solid«, die Künstler Xavier Naidoo und Kool Savas wegen eines Hidden-Tracks auf ihrem Album angezeigt hat, war mein erster Gedanke »Okay, wie wollen die DAS jetzt durchboxen?«
Ich meine, Xavier Naidoo, die Lichtgestalt des deutschsprachigen Soul, Vorzeigemigrant, Jury-Mitglied bei irgendwelchen Casting-Shows und nach wie vor im Radio auf Dauerrotation, ein klassischer Popstar, dazu Kool Savas, der nicht nur den Titel »King of Rap« mehr oder weniger unangefochten tragen darf, sondern sich auch sozial engagiert, für die PETA und bei der Anti-Cannabis-Kampagne des Landes Baden-Württemberg – diese beiden Artists, die nun mal nichts gemein haben mir irgendwelchen vermummten Bad Guys aus dem Rap-Untergrund, sondern im strahlenden Licht der Öffentlichkeit baden, stehen nun am Pranger?!
Und dann auch noch wegen »Volksverhetzung« und »Aufruf zu Straftaten« (laut Tagesspiegel), bzw gleich »Aufruf zu Totschlag und schwerer Körperverletzung« (laut spiegel.de). Alter Falter! Sollten die beiden am Ende nun auf Psychokore, den guten alten Hirntot-Style umgestiegen sein?
Die linke Jugendorganisation fuhr dann auch sogleich schwere Geschütze auf, »auf haarsträubende Art und Weise« würden »satanistische Rituale mit Kindesmissbrauch mit Pädophilie mit Homosexualität gleichgesetzt«, und diverse Feuilleton-Artikel flankierten, indem sie dies aufgriffen und den Künstlern neben Borniertheit und Humorlosigkeit – natürlich – auch quasi »schlechte Musik« vorwarfen.
Aber worum geht es eigentlich? Was sind denn jetzt die inkriminierten Liedzeilen? Na, hier:
»Ich schneid euch jetzt mal die Arme und die Beine ab, und dann ficke ich euch in den Arsch, so wie ihr es mit den Kleinen macht. Ich bin nur traurig und nicht wütend. Trotzdem würde ich euch töten. Ihr tötet Kinder und Föten und ich zerquetsch euch die Klöten. Ihr habt einfach keine Größe und eure kleinen Schwänze nicht im Griff. Warum liebst du keine Möse, weil jeder Mensch doch aus einer ist? Wo sind unsere Helfer, unsere starken Männer, wo sind unsere Führer, wo sind sie jetzt?«Äh, ja. Ich muss mich wohl in die Rolle von Otto Normalverbraucher versetzen, der solche Art Texte nicht gewohnt ist, und kann verstehen, dass er sich an den Kraftausdrücken (»ficken«, »Möse«, »Schwänze«) und der Gewaltdarstellung (»schneid euch (...) Arme und Beine ab«) stößt. Nun gut, dass Kunst mitunter provoziert, das wissen wir alle, und dass gute Provokation Reaktionen à la »Provokation ist ja okay, aber DAS geht nun wirklich zu weit« hervorruft, das wissen wir ebenfalls. Schwierig wird es aber, wenn die Empörung so groß ist, dass man meint die Justiz einschalten zu müssen. Im besten Falle ist die Justiz objektiv, in jedem Falle aber ist sie sachlich, und damit das genaue Gegenteil der gefühlten Empörung. Nun gilt es also, den griffigen, schlagzeilentauglichen Spruch, dass in diesen Zeilen »Homosexualität mit Pädophilie gleichgesetzt« würde, zu überprüfen, sehen wir uns also den Textauszug an.
Der Songtext und die Reaktionen auf ihn, von »Solid« bis in die Feuilletons, haben eines gemeinsam: beide sind hochemotional. Der Text folgt keinem eindeutigen roten Faden, er ist assoziativ und spielt mit Versatzstücken: »Ihr tötet Kinder und Föten und ich zerquetsch euch die Klöten«, das ist Aktion-Reaktion in klassischer, hiphopdynamischer Zweizeiligkeit, »ich ficke euch in den Arsch, so wie ihr es mit den Kleinen macht«, eine schnelle Abfolge von Bildern, bäm, eruptive, emotionale Äußerungen, die Kraftausdrücke und die Gewaltdarstellung unterstreichen die Unmittelbarkeit, die Wut über die gefühlte Ungerechtigkeit. »Ich bin nur traurig und nicht wütend, trotzdem würde ich euch töten«, hier wird nicht groß reflektiert, konkrete, angeklagte Menschengruppen gibt es, wie der Anredewechsel verdeutlicht, offenbar auch keine: »Ihr habt einfach keine Größe (...), Warum liebst du keine Möse« - kurz: der Text ist schlichtweg ein wütender Rundumschlag, der sich aus einem Gefühl der Hilflosigkeit und des Zorns speist, welchen wohl jeder empfindet, wenn er hört, wie ein Kind missbraucht und getötet wurde.
Man kann von dem Text halten, was man will. Klar, er ist unreflektiert, er ist emotional. Das ist aber kein Qualitätskriterium, sondern ein Stilmittel. Doch bei allen Emotionen, die durch Kraftausdrücke und Gewaltdarstellungen hier rausgelassen werden, so findet sich doch an keiner Stelle ein »Aufruf zu Straftaten«, noch wird »Pädophilie mit Homosexualität gleichgesetzt« und damit die Volksgruppe der Homosexuellen verhetzt. Das lyrische Ich appelliert nicht, es ruft nicht auf, es erzählt, was es macht bzw. gerne machen würde. Mit Pädophilen, die Kinder anal vergewaltigen und töten. Ist es eine Gleichsetzung von Homosexualität mit Pädophilie, wenn man die Tatsache, dass Pädophile mitunter Jungs anal vergewaltigen, nennt, nur weil Homosexuelle sich mitunter anal zu beglücken pflegen? Nein, so dumm kann nichtmal die Jugendorganisation der Linken sein. Denen geht es wohl eher um den Satz »Warum liebst du keine Möse, weil jeder Mensch doch aus einer ist«. Dieser Satz findet sich aufgrund der assoziativen Lesart des Textes und des Anredewechsels zunächst einmal in keinem inhaltlichen Zusammenhang mit den vorherigen Wutausbrüchen gegen Pädophile, und er erscheint tatsächlich interpretationsbedürftig.
Schon das »weil« in der Satzkonstruktion wirft Fragen auf. Man kann den Satz, für sich alleine stehend, tatsächlich als homophobe Äußerung lesen, warum denn Schwule bitte nicht auf Möseninhaberinnen stehen. Das hat aber mit Pädophilie nichts zu tun, und ist keine Volksverhetzung gegen Schwule, nur weil man deren geschlechtliche Vorlieben in Frage stellt – das ist nicht freundlich, aber keine Straftat. Man kann, wegen des »weil«, das Ganze aber auch weiter spinnen, und den zweiten Teilsatz als direkte Antwort verstehen: »Warum liebst du keine Möse? Weil jeder Mensch doch aus einer ist!«, würde, um ein paar Ecken gedacht, bedeuten: »Du bist kein Mensch, weil du nicht auf Mösen stehst«. Dies kann man wiederrum auf Pädophile, die eher auf Knabenärsche als auf Damenpussys stehen, und damit das auch von diversen Medien transportierte Klischee des »Kinderschänder-Monsters«, welches kein Mensch mehr sei, beziehen, aber eben auch, dass Schwule keine Menschen seien – und letzteres wäre tatsächlich volksverhetzend.
Aber wie dem auch sei: der Satz enthält keine konkrete, direkte Aussage, er ist nicht hermetisch abgeriegelt, sondern er ist offen, wie soeben verdeutlicht wurde. Man kann ihn auf verschiedene Arten verstehen, und hier sind wir dann nämlich wieder auf der juristischen Ebene: wenn eine Äußerung, die sich dem Verdacht der Volksverhetzung ausgesetzt sieht, auf verschiedene Arten interpretiert werden kann, dann ist nicht zwangsläufig die Interpretation, welche als Volksverhetzung gedeutet werden kann, ausschlaggebend für die juristische Bewertung, sondern vielmehr der Gesamtkontext. Und aus dem Gesamtkontext der oben genannten Zeilen lässt sich nicht entnehmen, dass Xavier Naidoo explizit gegen Schwule hetzt, sondern sich seine Wut ausschließlich gegen Kinderschänder und -mörder richtet.
Je mehr man sich mit dem Textauszug befasst, desto abwegiger und konstruierter erscheint der Vorwurf, hier würden Pädophilie und Homosexualität gleichgesetzt. Klar, der Text ist keine sachliche Reflexion, es gibt kein Pro und Contra, er ist nicht fair, aber es handelt sich auch nicht um einen wissenschaftlichen Essay, sondern um einen Song, und Musik ist emotional, sie verpackt Emotionen und transportiert sie weiter. Zum Beispiel zu linken Jugendorganisationen, wo dann Emotionen eher unmusikalischer Art hochkochen.
Die ganze Chose ist wiedermal ein Musterbeispiel für den typischen, auf Skandale und Headlines geeichten Medienzirkus, in dem Tatsachen hinter Empörungsreflexen verschwinden, der Verstand flächendeckend heruntergefahren, und mit Satzbausteinen von Dasgehtdochnicht bis Wiekannmannur jongliert wird, was einhergehend mit den Rufen nach einer hart durchgreifenden Justiz dann halt doch leider nach genau dem »gesunden Volksempfinden« anmutet, wovon sich die Bundesrepublik seit 1945 eigentlich distanziert sehen wollte.
Dass Tötungen und Missbrauch von Kindern Wut und Hass hervorrufen, ist normal. Dass sich manch einer genötigt fühlen mag, diese Wut künstlerisch umzusetzen, ist grundgesetzlich gestattet, und für alle Beteiligten gesünder, als z.B. einen Lynchmob mit Fackeln und Heugabeln zu organisieren, um, wie im Falle von Emden im März dieses Jahres, die Mordlust gegen einen, wie sich am Ende herausstellte, Unschuldigen zu richten. Dinge, die auf einer künstlerischen Ebene stattfinden, sollten auch auf einer künstlerischen ebene diskutiert werden, und nicht auf einer juristischen. Das ist aber auch mehr so ein Gefühl meinerseits.
Nennen wir es einfach »gesundes Rechtsempfinden«.