Donnerstag, 15. November 2012

Gesundes Rechtsempfinden oder: Warum Xavier Naidoos Songtext nicht volksverhetzend ist.


Als ich hörte, dass die die Jugendorganisation der Linken, »Solid«, die Künstler Xavier Naidoo und Kool Savas wegen eines Hidden-Tracks auf ihrem Album angezeigt hat, war mein erster Gedanke »Okay, wie wollen die DAS jetzt durchboxen?«
Ich meine, Xavier Naidoo, die Lichtgestalt des deutschsprachigen Soul, Vorzeigemigrant, Jury-Mitglied bei irgendwelchen Casting-Shows und nach wie vor im Radio auf Dauerrotation, ein klassischer Popstar, dazu Kool Savas, der nicht nur den Titel »King of Rap« mehr oder weniger unangefochten tragen darf, sondern sich auch sozial engagiert, für die PETA und bei der Anti-Cannabis-Kampagne des Landes Baden-Württemberg – diese beiden Artists, die nun mal nichts gemein haben mir irgendwelchen vermummten Bad Guys aus dem Rap-Untergrund, sondern im strahlenden Licht der Öffentlichkeit baden, stehen nun am Pranger?!
Und dann auch noch wegen »Volksverhetzung« und »Aufruf zu Straftaten« (laut Tagesspiegel), bzw gleich »Aufruf zu Totschlag und schwerer Körperverletzung« (laut spiegel.de). Alter Falter! Sollten die beiden am Ende nun auf Psychokore, den guten alten Hirntot-Style umgestiegen sein?
Die linke Jugendorganisation fuhr dann auch sogleich schwere Geschütze auf, »auf haarsträubende Art und Weise« würden »satanistische Rituale mit Kindesmissbrauch mit Pädophilie mit Homosexualität gleichgesetzt«, und diverse Feuilleton-Artikel flankierten, indem sie dies aufgriffen und den Künstlern neben Borniertheit und Humorlosigkeit – natürlich – auch quasi »schlechte Musik« vorwarfen.
Aber worum geht es eigentlich? Was sind denn jetzt die inkriminierten Liedzeilen? Na, hier:
»Ich schneid euch jetzt mal die Arme und die Beine ab, und dann ficke ich euch in den Arsch, so wie ihr es mit den Kleinen macht. Ich bin nur traurig und nicht wütend. Trotzdem würde ich euch töten. Ihr tötet Kinder und Föten und ich zerquetsch euch die Klöten. Ihr habt einfach keine Größe und eure kleinen Schwänze nicht im Griff. Warum liebst du keine Möse, weil jeder Mensch doch aus einer ist? Wo sind unsere Helfer, unsere starken Männer, wo sind unsere Führer, wo sind sie jetzt?«
Äh, ja. Ich muss mich wohl in die Rolle von Otto Normalverbraucher versetzen, der solche Art Texte nicht gewohnt ist, und kann verstehen, dass er sich an den Kraftausdrücken (»ficken«, »Möse«, »Schwänze«) und der Gewaltdarstellung (»schneid euch (...) Arme und Beine ab«) stößt. Nun gut, dass Kunst mitunter provoziert, das wissen wir alle, und dass gute Provokation Reaktionen à la »Provokation ist ja okay, aber DAS geht nun wirklich zu weit« hervorruft, das wissen wir ebenfalls. Schwierig wird es aber, wenn die Empörung so groß ist, dass man meint die Justiz einschalten zu müssen. Im besten Falle ist die Justiz objektiv, in jedem Falle aber ist sie sachlich, und damit das genaue Gegenteil der gefühlten Empörung. Nun gilt es also, den griffigen, schlagzeilentauglichen Spruch, dass in diesen Zeilen »Homosexualität mit Pädophilie gleichgesetzt« würde, zu überprüfen, sehen wir uns also den Textauszug an.
Der Songtext und die Reaktionen auf ihn, von »Solid« bis in die Feuilletons, haben eines gemeinsam: beide sind hochemotional. Der Text folgt keinem eindeutigen roten Faden, er ist assoziativ und spielt mit Versatzstücken: »Ihr tötet Kinder und Föten und ich zerquetsch euch die Klöten«, das ist Aktion-Reaktion in klassischer, hiphopdynamischer Zweizeiligkeit, »ich ficke euch in den Arsch, so wie ihr es mit den Kleinen macht«, eine schnelle Abfolge von Bildern, bäm, eruptive, emotionale Äußerungen, die Kraftausdrücke und die Gewaltdarstellung unterstreichen die Unmittelbarkeit, die Wut über die gefühlte Ungerechtigkeit. »Ich bin nur traurig und nicht wütend, trotzdem würde ich euch töten«, hier wird nicht groß reflektiert, konkrete, angeklagte Menschengruppen gibt es, wie der Anredewechsel verdeutlicht, offenbar auch keine: »Ihr habt einfach keine Größe (...), Warum liebst du keine Möse« - kurz: der Text ist schlichtweg ein wütender Rundumschlag, der sich aus einem Gefühl der Hilflosigkeit und des Zorns speist, welchen wohl jeder empfindet, wenn er hört, wie ein Kind missbraucht und getötet wurde.
Man kann von dem Text halten, was man will. Klar, er ist unreflektiert, er ist emotional. Das ist aber kein Qualitätskriterium, sondern ein Stilmittel. Doch bei allen Emotionen, die durch Kraftausdrücke und Gewaltdarstellungen hier rausgelassen werden, so findet sich doch an keiner Stelle ein »Aufruf zu Straftaten«, noch wird »Pädophilie mit Homosexualität gleichgesetzt« und damit die Volksgruppe der Homosexuellen verhetzt. Das lyrische Ich appelliert nicht, es ruft nicht auf, es erzählt, was es macht bzw. gerne machen würde. Mit Pädophilen, die Kinder anal vergewaltigen und töten. Ist es eine Gleichsetzung von Homosexualität mit Pädophilie, wenn man die Tatsache, dass Pädophile mitunter Jungs anal vergewaltigen, nennt, nur weil Homosexuelle sich mitunter anal zu beglücken pflegen? Nein, so dumm kann nichtmal die Jugendorganisation der Linken sein. Denen geht es wohl eher um den Satz »Warum liebst du keine Möse, weil jeder Mensch doch aus einer ist«. Dieser Satz findet sich aufgrund der assoziativen Lesart des Textes und des Anredewechsels zunächst einmal in keinem inhaltlichen Zusammenhang mit den vorherigen Wutausbrüchen gegen Pädophile, und er erscheint tatsächlich interpretationsbedürftig.
Schon das »weil« in der Satzkonstruktion wirft Fragen auf. Man kann den Satz, für sich alleine stehend, tatsächlich als homophobe Äußerung lesen, warum denn Schwule bitte nicht auf Möseninhaberinnen stehen. Das hat aber mit Pädophilie nichts zu tun, und ist keine Volksverhetzung gegen Schwule, nur weil man deren geschlechtliche Vorlieben in Frage stellt – das ist nicht freundlich, aber keine Straftat. Man kann, wegen des »weil«, das Ganze aber auch weiter spinnen, und den zweiten Teilsatz als direkte Antwort verstehen: »Warum liebst du keine Möse? Weil jeder Mensch doch aus einer ist!«, würde, um ein paar Ecken gedacht, bedeuten: »Du bist kein Mensch, weil du nicht auf Mösen stehst«. Dies kann man wiederrum auf Pädophile, die eher auf Knabenärsche als auf Damenpussys stehen, und damit das auch von diversen Medien transportierte Klischee des »Kinderschänder-Monsters«, welches kein Mensch mehr sei, beziehen, aber eben auch, dass Schwule keine Menschen seien – und letzteres wäre tatsächlich volksverhetzend.
Aber wie dem auch sei: der Satz enthält keine konkrete, direkte Aussage, er ist nicht hermetisch abgeriegelt, sondern er ist offen, wie soeben verdeutlicht wurde. Man kann ihn auf verschiedene Arten verstehen, und hier sind wir dann nämlich wieder auf der juristischen Ebene: wenn eine Äußerung, die sich dem Verdacht der Volksverhetzung ausgesetzt sieht, auf verschiedene Arten interpretiert werden kann, dann ist nicht zwangsläufig die Interpretation, welche als Volksverhetzung gedeutet werden kann, ausschlaggebend für die juristische Bewertung, sondern vielmehr der Gesamtkontext. Und aus dem Gesamtkontext der oben genannten Zeilen lässt sich nicht entnehmen, dass Xavier Naidoo explizit gegen Schwule hetzt, sondern sich seine Wut ausschließlich gegen Kinderschänder und -mörder richtet.
Je mehr man sich mit dem Textauszug befasst, desto abwegiger und konstruierter erscheint der Vorwurf, hier würden Pädophilie und Homosexualität gleichgesetzt. Klar, der Text ist keine sachliche Reflexion, es gibt kein Pro und Contra, er ist nicht fair, aber es handelt sich auch nicht um einen wissenschaftlichen Essay, sondern um einen Song, und Musik ist emotional, sie verpackt Emotionen und transportiert sie weiter. Zum Beispiel zu linken Jugendorganisationen, wo dann Emotionen eher unmusikalischer Art hochkochen.
Die ganze Chose ist wiedermal ein Musterbeispiel für den typischen, auf Skandale und Headlines geeichten Medienzirkus, in dem Tatsachen hinter Empörungsreflexen verschwinden, der Verstand flächendeckend heruntergefahren, und mit Satzbausteinen von Dasgehtdochnicht bis Wiekannmannur jongliert wird, was einhergehend mit den Rufen nach einer hart durchgreifenden Justiz dann halt doch leider nach genau dem »gesunden Volksempfinden« anmutet, wovon sich die Bundesrepublik seit 1945 eigentlich distanziert sehen wollte.
Dass Tötungen und Missbrauch von Kindern Wut und Hass hervorrufen, ist normal. Dass sich manch einer genötigt fühlen mag, diese Wut künstlerisch umzusetzen, ist grundgesetzlich gestattet, und für alle Beteiligten gesünder, als z.B. einen Lynchmob mit Fackeln und Heugabeln zu organisieren, um, wie im Falle von Emden im März dieses Jahres, die Mordlust gegen einen, wie sich am Ende herausstellte, Unschuldigen zu richten. Dinge, die auf einer künstlerischen Ebene stattfinden, sollten auch auf einer künstlerischen ebene diskutiert werden, und nicht auf einer juristischen. Das ist aber auch mehr so ein Gefühl meinerseits.
Nennen wir es einfach »gesundes Rechtsempfinden«.

Donnerstag, 26. April 2012

Pisst doch alle ins Schwimmbecken! - zur Urheberrechtsdebatte

Ein Einzelhändler, nennen wir ihn Joe, hat einen kleinen Gemischtwarenladen. Der Laden läuft nicht gut, er hat so gut wie keine Kunden, er bleibt auf seinen Waren sitzen. Was passiert? Joe macht den Laden dicht. Das ist das Prinzip von Angebot und Nachfrage: wenn keine Nachfrage nach einem Angebot besteht, wird dieses Angebot über kurz oder lang zurückgezogen. Ein alter Hut. Joes Kumpel, nennen wir ihn Jack, hat ebenfalls einen Gemischtwarenladen. Im Gegensatz zu Joe hat er einen großen Kundenstamm, die Leute mögen seinen Laden und seine Waren, sie kommen häufig, sie erzählen ihren Freunden davon. Trotzdem kann Jack sich kaum über Wasser halten, denn die meisten seiner begeisterten Kunden klauen. Sie kommen jeden Tag, sie erzählen ihm, wie unglaublich geil sein Angebot sei und schmuggeln die Einkaufsartikel unterm Mantel raus. Und wundern sich, als Jack seinen Laden eines Tages auch dicht macht, weil er keine Gewinne mehr erzielt.
Was jedem normalen Menschen einleuchtet, ist heutzutage ein Diskussionsthema. Dem beachtlichen Wahlerfolg der Piratenpartei ist es zu verdanken, dass man allen Ernstes darüber debattiert, ob Jack die Leute nicht einfach klauen lassen sollte, wenn sie doch wollen, und dass es doch nicht sein könne, dass jeder, der halt mal was mitgehen lässt, kriminalisiert würde, usw.
Klar, ich seh jetzt schon, wie einige die Augen verdrehen. „Wie kann er denn illegale Downloads mit Ladendiebstahl gleichsetzen, wenn man Mucke lädt ‚fehlt‘ schließlich keine CD, folglich gibt es also auch keinen Schaden! Und außerdem, wer sagt denn, dass jeder, der die Musik lädt, sich die CD auch kaufen würde? Keiner! Überhaupt, Musik sollte man aus Liebe machen, und nicht wegen der Kohle! Und außerdem, ein Raubkopierer kriegt zehn Jahre Haft und ein Kinderficker nur Bewährung, ist das etwa gerecht?“
Gestattet, dass auch ich nun die Augen verdrehe. Denn so sehr auch ich härtere Strafen für Kinderficker befürworte, so sehr gehen all diese Argumente am Problem vorbei. Aber der Reihe nach.
Ja, auch ich bin für ein freies Internet. Auch ich nutze oft und gerne Wikipedia, auch ich halte es für überzogen, eine Anzeige wegen Verstoßes gegen das Urheberrecht zu bekommen, wenn man z.B. ein Gedicht von Gottfried Benn zitiert – darüber muss man nicht diskutieren. Dass jemand sich mal eine CD von einem Kumpel brennen lässt, dass jemand seine Lieblingstracks auf Youtube lädt, das ist an sich alles okay. Es ist auch nichts Neues, im Verkaufspreis für CD-Rohlinge sind Raubkopien mit einkalkuliert, ebenso wie früher bei Kassetten (jaja, diese altmodischen, unhandlichen eckigen Teile). Seit Kunst kopiert werden kann, wird sie kopiert.
Und natürlich ist das freie Internet gerade für Independent-Künstler ein Glücksfall; im Grunde kann jeder, losgelöst von den bürokratischen Strukturen eines Majorlabels, seine Musik promoten. Als Independent-Künstler sage ich „Danke, Internet!“, und das aus voller Kehle und mit ganzem Herzen. Auch ich nutze Youtube, um meine Musikvideos einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, und bin heilfroh, dass ich nicht mehr, wie in den 90ern, Demos an irgendwelche Musikzeitschriften oder Labels schicken muss, in der Hoffnung, dass die offen für den etwas eigenen Stil sind, den ich habe. Dank des Internets konnte Hirntot Records seine Musik einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen, mit Freetracks und Musikvideos werden CDs promotet, und das alles ist in erster Linie cool.
Worüber also reden wir dann? Über sowas:
„Yo Schwartz, ich feier deine Musik, ich bin dein allergrößter Fan! Ich hab mir all deine Alben runtergeladen und jedes davon ist top!“
Solche Zuschriften sind leider mehr die Regel, als die Ausnahme. Aber auch wenn sie mir, abhängig von meiner Laune, entweder bloß ein fassungsloses Kopfschütteln oder aber eine ausführliche Antwort mit einer Menge eher weniger freundlicher Bezeichnungen die Erzeugerin des Empfängers betreffend, abnötigen, sie dienen immerhin als gutes Beispiel für diese aktuelle Debatte, denn sie attackieren den Kern.
Erstens, der Typ weiß gar nicht, dass das, was er tut, illegal ist, er hat keinerlei Schuldbewusstsein. Und zweitens, der Typ bezeichnet sich als Fan, feiert also was ich tue, aber kommt nicht einmal auf die Idee, dies in irgendeiner Weise zu unterstützen. Know what I’m sayin‘?
Um es vorwegzunehmen, auch ich habe keine Universallösung auf Lager. Ich lese derzeit eine Menge Artikel über Urheberrecht und Filesharing , und diese lassen sich grob in zwei Lager teilen. Für die einen ist Filesharing ein stinknormales Phänomen der Internetnutzung, und das habe man zu akzeptieren, und es bringe ja auch nichts, jeden einzelnen Downloader zu kriminalisieren. Auf der anderen Seite sind es in der Regel die Kreativen, also Künstler selbst, Angestellte von Plattenfirmen und Filmfabriken oder auch mal der ein oder andere Journalist, dem langsam dämmert, was für Folgen ein ausgehebeltes Urheberrecht auch für ihn haben könnte, die entweder ans Gewissen der Leute appellieren oder eine Kontrolle des Internets fordern, durch die Bank jedenfalls darauf beharren, für ihre geistige Leistung auch entsprechend entlohnt zu werden.
Als Internetnutzer wie auch als Künstler fühle ich mich auf der Seite der Letztgenannten – auch wenn es hier ebenfalls Fanatiker und Kuriosa gibt, wie z.B. den offenen Brief der „Tatort“-Drehbuchautoren (wir erinnere uns: „Tatort“ läuft auf ARD, welche sich wiederrum über die berüchtigten GEZ-Gebühren finanziert, die jeder, der ein Fernsehgerät besitzt, entrichten muss, ob er nun ARD schaut oder nicht). Das liegt nicht daran, dass ich mehr Künstler als Internetnutzer bin, sondern weil mich die Argumente der „Akzeptiert es einfach, sie downloaden eh“-Fraktion auch als Privatperson nicht überzeugen.
Das gängige Beispiel, was auch gerne die Piratenpartei-Leute anbringen, nämlich dass man illegales Filesharing legalisieren solle, weil es ja eh jeder täte, ist zugleich das dämlichste. Mit der gleichen Begründung kann man Pinkeln-ins-Schwimmbecken im Freibad, jedes Tempolimit im Straßenverkehr oder Koks entkriminalisieren. Natürlich: es gibt in der Gesellschaft eine gewisse Toleranz, was die Gesetzesausübung angeht. Nicht jeder, der mit 20km/h mehr durch die Fußgängerzone fährt, soll sofort ‘nen Punkt ins Flensburg bekommen, und nicht jeder, der im vollen Freibad klammheimlich ins Becken strullt, muss Hausverbot bekommen (es sei denn, er verrichtet sein Geschäftchen gut sichtbar vom Drei-Meter-Brett aus), und was Koks angeht, nun ja, schaut euch halt die Generation der 20- bis 30-jährigen an. Dennoch sind diese Gesetze sinnvoll, denn wenn auf einmal jeder (und, haha, am besten zeitgleich) ins Schwimmbecken pisst, im Affenzahn durch die Straßen brettert oder sich halt die Nasenscheidewand wegsnifft, und niemand in irgendeiner Weise eingreifen würde, dann hätten wir Anarchie (und mir kann keiner sagen, dass er das ernsthaft will).
Auch diese Sprüche, dass Kunst und Kultur frei zugänglich sein müsse, weil das ja im Grundgesetz stünde, ist, freundlich ausgedrückt, Schwachsinn, denn „frei“ meint natürlich nicht „gratis“, sondern „uneingeschränkt“ (zumindest zeigt es, wes Geistes Kind die Befürworter sind, „Freibier“ und so, wa).
Ich könnte noch eine Menge Beispiele bringen, aber ich werde mich bloß auf diesen Piraten-Gemeinplatz beschränken, dass die Künstler ja Geld verdienen dürften, aber die „Verwerter“, also die Verleger, Labelchefs, Filmproduktionsfirmen etc., halt nicht mehr so viel. Dieses Argument zeugt in all seiner Ungenauigkeit von dem schmerzhaft niedrigen Niveau, auf dem diese Debatte geführt wird. Es zeugt nicht nur von kunsthistorischer Unkenntnis, es zeugt zudem von einem Desinteresse an wirtschaftlichen Zusammenhängen, so dass man am Ende doch immer wie zu dem Punkt kommt, dass es sich bei der Piratenpartei um ein paar Freaks handelt, die sich halt ungestört Filme, Musik und anderen, äh, „Content“ runterladen wollen. Die Kunstverwertung (ein hässliches Wort, das mit Absicht wegen seiner Hässlichkeit gewählt wurde) ist so alt wie die Kunst selbst, und jede Disziplin hatte neben den Künstlern eben die Mäzen, Sponsoren und Vermarkter, die das ganze Zeug unter die Leute bringen. Der bildende Künstler hat den Galeristen, der Schriftsteller den Verleger, der Musiker den Produzenten und CEO, der Spieleentwickler den Distributor, der Regisseur die Produktionsfirma. Und auch wenn dank des Internets die Strukturen nicht mehr so festgefahren sind, so zeigt sich besonders dann, wenn man sich das iTunes- oder auch Youtube-Konzept ansieht, dass es so völlig ohne zwischengeschaltete Instanz eben nicht geht – auch nicht im Independentbereich.
Ab einer gewissen Größenordnung, in der Regel, sobald es über die bloße Hobbytätigkeit hinausgeht, sind nicht nur die Herstellung , sondern auch der Vertrieb und die Vermarktung von Kunst mit hohen Investitionskosten verbunden – alles Aufgaben, wo jeder Künstler froh ist, wenn er Leute hat, die ihm diesen Job abnehmen. Oder glaubt jemand, Lady Gaga drehe ihre Musikvideos mit ihrer eigenen iPhone-Kamera? Oder wäre ein Film wie „Fluch der Karibik“ ohne den entsprechenden personellen und finanziellen Background denkbar?
Nein, ich will nun nicht alle Argumente aufzählen, die dafür sprechen, Kunst, die man konsumiert und einem gefällt, auch entsprechend zu entlohnen, keine Sorge. Ich will auch nicht moralisieren, oder mich zum hundertsten Mal über die Piratenpartei aufregen. Die oben zitierte Zuschrift, von dem Downloader, der sich als Fan bezeichnet, ist der aktuelle Stand der Dinge, und der ist weit über die aktuelle Debatte voraus.
Was entsteht da für eine Gesellschaft, in der man gar nicht auf die Idee kommt, Kunst, die man genießt, zu entlohnen? Ist das die Gesellschaft, von der Saschas Lobo in seiner Spiegel-Online-Kolumne sprach, eine Gesellschaft, die ihre Künstler letzten Endes nur als verachtenswerte Hampelmänner sieht? Wenn sich irgendwann mit der Kunst, die man macht, kein Geld mehr verdienen lässt, macht man sie entweder nur noch nebenher oder gar nicht mehr. Wird also Kunst zukünftig nur noch ein Abfallprodukt der Freizeit von ansonsten anderweitig beschäftigen Menschen sein? Wenn Ideen, und mehr noch: in eine bestimmte Form gebrachte Ideen, durch ein nichtexistentes Urheberrecht Allgemeingut werden, wieviele Menschen werden dann noch Lust verspüren, Zeit und Energie in die Entwicklung von Ideen zu stecken? Ansätze dieser um sich greifenden Denkweise finden sich, außer im laxen Schöngerede und Herabgespiele von illegalem Filesharing, zum Beispiel auch im Umgang der breiten Öffentlichkeit mit Ex-Verteidigungsminister Guttenberg. Mit „Ach, der hat halt ein bißchen abgeschrieben“ wurde sein Verstoß gegen das Urheberrecht entschuldigt. Okay, das waren in erster Linie nur „Bild“-Zeitungsleser, aber hey, das ist Deutschlands auflagenstärkste Zeitung.
Naja, nun. Ich habe bereits gesagt, ich habe nicht die Universallösung. Die hat die Piratenpartei übrigens auch nicht, aber die haben immerhin Forderungen (über die Umsetzung denkt man dann halt später nach, bzw. gar nicht mehr). Am Ende hilft vermutlich nur die anthropologische Perspektive. Der Mensch interessiert sich für die Folgen seines Handelns nur bedingt, sofern es seinen Lebensstandard nicht unmittelbar betrifft. Solange das Auto fährt, ist es egal wo das Öl herkommt, und wieviel Löcher die Karre noch in die Ozonschicht bläst. Der Mensch sägt nunmal am Ast, auf dem er sitzt. Warum sollte es beim Filesharing anders sein?
Ih, das wäre jetzt aber ein nihilistisches Ende für diesen Text (den es übrigens für 0 Euro im Internet gibt, aber deshalb, weil ich es so will). Schlagen wir also den Bogen, zu Joe und Jack, den beiden erfolglosen Einzelhändlern vom Anfang.
Die haben inzwischen umgeschult auf Straßenmusiker, klampfen alte Evergreens in der Fußgängerzone, und hoffen, dass die Leute nicht nur zum Zuhören stehenbleiben, sondern ab und an mal einen Euro in den Hut werfen.
(Das war jetzt nicht weniger nihilistisch, aber fuck it.)

Montag, 23. April 2012

Haltet endlich mal die Fresse

Ich könnte in diesen Tagen eine Menge schreiben. Zu dem ganzen Gesabbel um die Kellerkids von der Piratenpartei und ihrer politischen Ahnungslosigkeit, zu Günter Grassens „Gedicht“ genannter Unverschämtheit mit Zeilenbrüchen, zu Kristina Schröders neuem Buch, oder zum verantwortungslosen Umgang vieler Medien mit dem „Shooting-Star“ Anders Breivik. Zu Kony, Wulff oder Guttenberg allerdings nicht, denn die interessieren ja keine Sau mehr, so wie die Piratenpartei, Grass, Breivik und Schröder in wenigen Tagen oder Wochen keine Sau mehr interessieren werden. Schnee von Gestern im Blizzard der deutschen Debattenkultur. Ich könnte einiges dazu sagen, wie gesagt. Aber ich mag nicht. Weil es mich ankotzt, weil mir dieses implodierende Meinungsgewichse dermaßen auf den Sack geht, dass ich schon müde werde, wenn ich dran denke nur noch zwei, drei weitere Gedanken an dieses Drecksthema zu verschwenden. „Bitte nicht schon wieder eine Debatte, die keine ist“, beginnt der Spiegel-Online-Kolumnist Georg Diez seinen Artikel über Günter Grass’ „Was gesagt werden muss“-Schmonz, und dort hätte der Text dann eigentlich enden können. Tat er natürlich nicht, und weil der gute Mann ja so von der Debatte, die keine ist, genervt war, ließ er im Abstand von wenigen Tagen gleich noch zwei weitere Texte folgen, die – wen wundert’s? – Grass’ „Was gesagt werden muss“-Schmonz zum Thema hatten. So kann man es natürlich auch machen. Früher wurden Dinge, die einen genervt hatten, totgeschwiegen, heute werden sie totgelabert. In den nächsten Tagen wird irgendein wie auch immer gearteter prominenter Vollpfosten einen öffentlichkeitswirksamen Furz lassen, und dann geht der Schwachsinn von vorne los. Von „Bild“ über „SZ“ und „FAZ“ bis hin zum „Spiegel“ und dessen verkrüppelten, kleinen Bruder, „Spiegel-Online“, wird jedes Meinungsorgan auf seinem jeweiligen Niveau den Furz anzünden und kaputt diskutieren, die Geruchsmoleküle werden analysiert und kommentiert, mal wohlwollend, mal ablehnend, wenn der Gestank verfliegt wird nach älteren Fürzen gefahndet, und wenn schließlich die Luft wieder völlig rein & genießbar zu werden droht, wird über die Art, wie über den Furz debattiert wurde, debattiert. In der Hoffnung, dass ein anderer baldmöglichst den nächsten Furz lässt. Zurück bleiben wird nichts, außer der vagen Ahnung eines schlechten Geruchs. Ich kann verstehen, dass in Zeiten des Onlinejournalismus’, der Echtzeitberichterstattung und dem ganzen Bums die Nachrichtenportale unter einem gewissen Zugzwang stehen. Wer seine Seiten nicht regelmäßig aktualisiert, der wird uninteressant. Bestes Beispiel: dieser Blog. Aber ist das ein Grund, jede Belanglosigkeit zum Skandal zu pushen? Muss ich mir deswegen in jedem Medium von jedem verfügbaren Redakteur jeden möglichen Standpunkt zu einem Thema vorsabbeln lassen? Günter Grass ist ein schönes Beispiel. Zu „Was gesagt werden muss“ muss man nicht viel sagen. Es ist kein Gedicht, auch wenn der Autor es als solches auszeichnet; es ist die in Zeilen gebrochene Meinung eines alten Mannes, der vor etlichen Jahren mal ein paar gute Bücher geschrieben hat. Was ein Gedicht ist, wie es auszusehen hat – darüber gibt es mindestens so viele Meinungen wie Lyriker, jeder hat seinen eigenen Definitionsansatz, seine eigene Poetik, und das ist auch gut so. Aber alle Poetiken kommen an einem Punkt überein, nämlich, dass ein Gedicht immer etwas hat, was über das „bloß Geschriebene“, die Worte, die dort nachlesbar stehen, hinauswirkt, unabhängig davon, wie simpel es sein mag. Günter Grass’ Text tut genau das nicht: es ist bloß das, was dort steht. Und das, was dort steht, ist nicht mal interessant. Jeder Mensch, der sich halbwegs mit Lyrik befasst, wird die Etikettierung „Gedicht“ für Grassens Text als Unverschämtheit empfinden, und selbst die ahnungslose Mehrheit würde dem Gestammel jeden künstlerischen Wert absprechen („Hö, ich dachte’n Gedicht reimt sich?!“), aber dank dem Dauerfeuer aus allen medialen Rohren wird dieser versial zerbröselte Dreck immer und immer wieder geadelt. Bravo, Günter Grass, du hast nicht nur dein eigenes literarisches Erbe demontiert, du hast zugleich der Lyrik als künstlerischer Gattung einen kaum bezifferbaren Schaden zugefügt, nicht zuletzt dank deiner Komplizen in jeder meinungsbildenden Nachrichtenklitsche. Das muss man auch erstmal schaffen. Wirklich, diese Scheiße macht mich müde und mürbe, und das nicht nur, weil es gleich fünf Uhr morgens ist. Das Grass-Beispiel zeigt, genau wie der Umgang einiger Medien mit Anders Breiviks Selbstdarstellung vor Gericht, dass eine ausgeprägte Gesprächskultur kein Garant für Intelligenz ist. Wenn Spiegel-Online mit dezenter Empörung schreibt, dass Anders Breivik den Prozess als Bühne für seine bescheuerte Ideologie missbraucht, und genau diese Ideologie haarklein wiedergibt, dann bekommt man als halbwegs vernunftbegabter Mensch einfach Kopfschmerzen. Und die – natürlich – daraus resultierende Debatte, ob man der Selbststilisierung des Massenmörders durch diese Berichterstattung unterstützen darf oder nicht, und wenn ja, warum, und wenn nein, dann doppelt warum, und dieses ganze, irrwitzige Ballaballa-Blablabla, das alles sorgt nicht unbedingt dafür, dass es dem Kopf besser geht. Und wenn man dann bedenkt, dass genau dieses Thema in wenigen Tagen so was von vergessen sein wird, einfach weil nun auch der letzte Primat die Schnauze schlichtweg voll hat und es nicht mehr hören kann, dann werden diese Kopfschmerzen chronisch. Bzw., höhö, chronistisch. Ich für meinen Teil gehe jetzt schlafen. Ich hoffe, ich habe nicht wieder diesen widerwärtigen Traum, in dem ich sah, wie K.T. zu Guttenberg und Kai Diekmann sich gegenseitig in die Haare wichsten. Nicht nur, weil der Traum so eklig war, sondern weil ein Guttenberg-Hashtag auf Twitter keine 20 Tweets mehr anzeigt.

Sonntag, 12. Februar 2012

Das große R.I.Ppen

Whitney Houston ist tot, und kaum war die Meldung draußen, ging das große GeR.I.Ppe los. R.I.P Whitney hier, R.I.P Whitney da, eine der Allergrößten ging von uns, blablabla, business as usual, wenn mal wieder eine über-seine-Hood-hinaus bekannte Person das Zeitliche segnet. Parallel zur breiten Masse der abwechselnd ehrlich-betroffenen und gedankenlos-mitlabernden R.I.Pper formierten sich natürlich die Kolonnen der Komiker, die blitzschnell irgendwelche geschmacklosen (aber nichtsdestoweniger lustigen) Witze ins www bliesen, Bilder mit blöden Sprüchen versahen („Claims she will always love you. Dies.“) oder twittertaugliche One-Liner formulierten („Der Tod von Whitney Houston ist der härteste Schlag gegen die Drogenmafia seit dem Ableben von Amy Winehouse“ war noch einer der Besseren). Nicht zu vergessen natürlich die Phalanx der Phrasendrescher, die, wie bei jedem toten Promi, nicht müde werden zu betonen wie scheißegal es doch sei, dass XY jetzt tot sei, und dass ja auch keiner der Trilliarden toten Kinder, die jeden Tag in Afrika sterben, gedenkt usw. Wie gesagt, business as usual im Gefällt-mir-Zeitalter.
Klar, wenn ein Mensch stirbt, dann ist das für seine Angehörigen eine Tragödie, so etwas wünscht man keinem, und darüber gibt es auch keine Diskussion. Aber bei Menschen, die zugleich Personen des öffentlichen Lebens sind, verhält es sich ein wenig anders. Liegt ja auch in der Natur der Sache: wenn man sich schon zu ihren Lebzeiten ihr neues Lied, Kleid, Haus, Auto, Liebesleben usw. das Maul zerreißen kann, warum sollte es nach dem Ableben anders sein?
Und jetzt also Whitney Houston. Ich gestehe, ich habe vom Schaffen und Leben der Dame keine Ahnung. Klar kenne ich ihren mutmaßlich größten Hit “I Will Aylways Love You” aus dem Bodyguard-Soundtrack, der Song spielt in der gleichen Liga wie „Let The Music Play“, „Beat It“ und „Yesterday“, und ich will nicht wissen, wieviele Frauen zwischen 30 und 35 mit Whitneys souliger Interpretation von Dolly Partons Stück aus den 70ern ihr zerfetztes Hymen, wenigstens aber den ersten Kuss assoziieren.
Ansonsten bekam ich von Whitney Houston nur die ein oder andere Meldung über irgendeinen Alkohol- oder Drogenexzess mit, aber das ist bei „großen Stars“ ja inzwischen ein Standardsatzbaustein im Lebenslauf.
Mit großen Stars ist das sowieso immer so eine Sache, besonders wenn sie älter werden. Die Leute sind eigentlich gewohnt, dass große Künstler, Ausnahmetalente etc. jung sterben. Franz Schubert, der österreichische Komponist, wäre so ein Beispiel, ebenso der expressionistische Lyriker Georg Heym, von dem seit Amy Winehouse‘ Ableben wieder schwer bekannten „Club 27“ mit Jimi Hendrix, Kurt Cobain, Jim Morrison usw. mal ganz zu Schweigen. Die Leute mögen so etwas, ach, er war ja so talentiert, aber man weiß ja, die Besten sterben jung, blablabla. Interessant ist so etwas allerdings aus wissenschaftlicher Sicht. Musikforscher haben Schuberts Gesamtwerk analysiert und attestiertem ihm mit eine Vollendung seines Könnens mit 23 Jahren (er starb mit 30). Literaturwissenschaftler sagen das gleiche über Georg Heym, und dass Amy Winehouse sich stimmlich nicht mehr selber hätte übertreffen können, das werden wohl auch viele abnicken.
Es gibt Künstler, die es schaffen, sich immer wieder neu zu erfinden, die immer wieder etwas neues schaffen – die sterben dann in der Regel auch nicht jung. Was ist aber mit den anderen? Mit den großen Künstlern, die, pardon, auf dem Höhepunkt ihres Schaffens nicht rechtzeitig sterben? Der Star von gestern als Normalmensch von heute? Kaum vorstellbar. Nein, es hört sich zynisch, aber es ist so: diese Künstler müssen tatsächlich sterben, um wieder zu leben. Michael Jackson war so ein Fall. Nachdem seine Karriere anfang der 90er langsam, und dann dank der Kindesmissbrauchs-Vorwürfe immer schneller bergab ging, mutierte er mehr und mehr zu einem Freak, eine Art Untoter. Optisch ein androgynes Alien, machte er zuletzt nur noch Schlagzeilen mit seinem Schuldenberg oder, in den Boulevard-Nachrichten, als er sein Kind aus dem Fenster eines mehrstöckigen Hauses hielt. Erst der Tod brachte ihm die Erlösung: da war er in der öffentlichen Wahrnehmung wieder der größte Popstar der Welt, der zwar irgendwann abrutschte und zur tragischen Figur wurde – aber eben doch der größte Popstar der Welt war.
Mit Whitney Houston wird es ähnlich laufen. In den 2000er Jahren floppten ihre Alben durch die Bank, der Sängerin versagte des öfteren die Stimme, ein Comebackversuch 2009 wurde von der Kritik als „misslungen“ eingestuft. Jetzt wird die nächsten Wochen wieder bis zum Erbrechen „I Will Always Love You“ auf sämtlichen Kanälen gedudelt, bis der nächste Promi stirbt.
Aber seien wir ehrlich: Whitney Houston kann sich post mortem eigentlich nicht beschweren. Sie hat zu Lebzeiten einen Welthit geschaffen, einen Evergreen, den sehr viele Menschen noch sehr lange hören werden, ob nun bei der Entjungferung, bei Hochzeiten oder einfach weil sie das Lied mögen. Große Kunst ist zeitlos, und es liegt in ihrer Natur, dass sie den Künstler selbst übersteht – ansonsten wäre sie nicht groß.
Eine Frage habe ich allerdings, und zwar an diejenigen, die jetzt am lautesten „R.I.P WHITNEY“ schreien und sich über die Pietätlosigkeiten der Twitterwitzbolde echauffieren: kennt ihr eigentlich die Musik, die Mrs. Houston nach den 90ern gemacht hat? Oder habt ihr via Desinteresse oder Missachtung mit dafür gesorgt, dass ihre Alben ab 2000 floppten?
Das interessiert mich jetzt schon.

Mittwoch, 24. August 2011

Der Rap-Journalist im Zeitalter seiner diskussionstechnischen Bedeutungslosigkeit

Pünktlich zum Release des Albums „Blackbox“ des Rappers Laas Unltd. und dessen zeitgleich gestarteter „Kampagne gegen illegale Downloads“ lässt Oliver Marquardt, der neue Chefredakteur von rap.de, sich nicht lumpen, diese Kampagne in einem Artikel auf rap.de erstmal zu demontieren. Was sein gutes Recht ist, und mal ganz abgesehen davon, dass ich Laas Unltd. nicht kenne und weder er, noch seine Musik mich sonderlich interessieren, ist die Art und Weise wie das Ganze vonstatten geht, tatsächlich ein wenig, nun ja, suboptimal, sowohl im Modus Operandi, als auch in der Präsentation. Aber gut. Marquardt sieht sich also genötigt einige Worte zum Phänomen der illegalen Downloads zu verlieren, und beweist aufs journalistisch Allerschlampigste eine katastrophale intellektuelle Kurzsichtigkeit.
Ob nun Laas Unltd. von „der irrigen Annahme“ ausgehe, „jeder, der sich ein Album illegal herunterlädt, würde dieses stattdessen kaufen, wenn dies nicht möglich wäre“ oder ob er nun von den braven Downloadern spricht, „die es zunächst illegal herunterladen, es nach Anhören und Gefallen dann tatsächlich“ kaufen, Marquardt bedient nahezu jedes Argument, mit dem die Filesuckers ihr Tun zu beschönigen bzw. verharmlosen suchen. Zur Untermauerung führt er dann eine Studie der Gesellschaft für Konsumforschung an, welche besagt, dass „die Nutzer illegaler Filmseiten (...) im Schnitt nicht etwa weniger, sondern sogar deutlich mehr Geld für Kino und DVDs ausgeben als solche, die sich keine Raubkopien ansehen“. Anstatt dass Marquardt die Schwachsinnigkeit dieser Studie aufzeigt (natürlich geben Leute, die kino.to etc. nutzen, mehr Geld für Film und Kino aus, schlichtweg weil sie diesen Medien ein gesteigertes Interesse entgegenbringen), verweist er noch rasch auf die Tatsache, dass diese Studie – conspiracy theory, ick hör dir trapsen! – nicht publiziert werden durfte und überträgt sie dann auf die Rap-Szene. Doll. Ja, es ist klar, dass Rap-Hörer mehr Alben downloaden, als Leute, die mit Rap nix am Hut haben.
Und wenn er sich dann noch zu diesem wirklich, wirklich allerblödsinnigsten aller Vergleiche versteigt, nämlich das Kopieren von CDs und Schallplatten auf Tapes mit dem Uploaden und damit grenzenlos Verfügbarmachens eines Albums gleichzusetzen, dann – ja, dann fragt man sich wes Geistes Kind der neue rap.de-Chefredakteur denn nun ist. Ich meine, wer die Kausalität zwischen sinkenden Plattenverkäufen und steigenden Downloadzahlen nicht erkennt, der will sie nicht erkennen, und der geht dann vermutlich auch bei einem Gewitter vor die Tür und behauptet, es sei nicht erwiesen, dass er wegen des Regens nass würde, das könne ja auch andere Ursachen haben.
Marquardts leicht linksliberal angehauchter und Piratenpartei-konformer Reflex, die armen illegalen Downloader gegen die bösen, bösen Künstler, die so dreist sind für ihre Musik Geld zu verlangen, in Schutz zu nehmen gipfelt in seiner Einseitigkeit denn auch in seinem rasch und der journalistischen Sorgfaltspflicht (haha) geschuldeten Statement an die Rapper, die sich „lieber überlegen“ sollten, „in welcher Art und Weise sich mit Musik auch im 21. Jahrhundert noch Geld verdienen lässt“. Genau. Und solange laden wir halt dann mal noch fleißig runter.
Dass Marquardt illegales Filesharing und die damit verbundene Selbstbedienungsmentalität als gesellschaftliches Phänomen hinnimmt, ist ja zunächst mal okay. Aber dass ihm die kulturellen Auswirkungen dessen aber nichtmal eine Fußnote wert sind, und er den schwarzen Peter den Künstlern in die Schuhe schiebt, dagegen weniger.
Aber bleiben wir mal auf dem gleichen Niveau. Jeder Rap-Musiker hat seinen Twitter-Account, seine Facebook-Seite und sein eigenes Forum. Fans informieren sich bei „ihren“ Künstlern direkt, ohne den Umweg über eine berichtende Instanz, wie etwa rap.de, zu nehmen. Wenn sie wissen wollen ob ihnen ein Album gefällt, laden sie es runter, hören es durch und bilden sich ihre eigene Meinung, dazu benötigen sie keine Review. Und Internet-Phänomene, Youtube-Karrieren etc verbreiten sich über die Mundproaganda von Messengern, und sicherlich nicht über die Newsseiten von Magazinen. Rap-Journalismus ist als berichtende Instanz weitestgehend bedeutungslos. Die einzige Möglichkeit wieder Bedeutung zu erlangen ist es, journalistisch anspruchsvolle und dabei verständliche Texte zu verfassen; beispielsweise Essays, welche die Filesharing-Problematik behandeln. In denen nicht stumpf etwas angeprangert oder schlechtgeredet wird, sondern wo Phänomene skizziert und die Wechselwirkungen aufgezeigt werden, beispielsweise dass es ökonomisch keinen Sinn macht, Geld in die Produktion eines Albums zu stecken, wenn man am Ende rote Zahlen schreibt; dass Fans aber ein schlecht produziertes Album nicht kaufen werden, und somit ein Teufelskreis entsteht. Dass es mehr Rapper als Kfz-Mechaniker in Deutschland gibt, und dass die schiere Masse des Angebots es natürlich unmöglich macht, jedes Album zu kaufen. Dass die im Filesharing inhärente Selbstbedienungsmentalität sich möglicherweise auf den gesamten kulturellen Sektor auswirkt. Und dass man sich fragen sollte, ob eine Kultur, in der man für Ideen und geistige Urheberschaft nicht mehr entlohnt wird, eine wünschenswerte ist. Das sind alles so Fragen.
Da Herr Marquardt diese Fragen nicht stellt, und stattdessen auf niedrigstem Blog-Niveau Milchmädchenrechnungen reproduziert und präsentiert, sollte er sich lieber mal fragen, inwiefern sich mit Rap-Journalismus im 21. Jahrhundert noch Geld verdienen lässt.

Freitag, 24. September 2010

Dogmen und Dogma oder: über die Kritik in der Rap-Szene

"Allgemein hält Staiger den Umgang mit Kritik in der deutschen Hip Hop Szene für verbesserungswürdig, weswegen er einen Runden Tisch anregt, bei dem über das Thema zwischen Künstlern und Redakteuren gesprochen werden sollte"


(Quelle: http://rap.de/news/5165 )

Über Reaktionen von Rappern auf Kritik zu sprechen bedeutet, über Reaktionen auf Reaktionen zu sprechen. Kritik ist nie Aktion, immer Reaktion. Will man also über dieses Thema reden, muss man bei der Aktion, in diesem Falle also dem musikalischen Erzeugnis eines Rappers anfangen, um dann auf die Reaktion, die Kritik dieses Erzeugnisses, zu kommen.

Fangen wir also bei der Musik an. Hiphop als Musik wie auch als Lifestyle oder meinetwegen Kultur ist ein Importprodukt aus den USA, was u.a. den hohen Grad an Anglizismen im Deutschrap - Flow, Skills, Tight, Beat etc. - erklärt. Als Importprodukt hatte Hiphop lange Zeit mit kulturellen Differenzen zu kämpfen. Während es in den USA vornehmlich Farbige waren, die sich an dieser neuen Kunstform versuchten (und damit größtenteils die weiße Mittelschicht-Jugend der Vorstädte belieferten), waren es hier eben jene Mittelschicht-Kids, die anfingen zu rappen. Während die US-Rapper im Gangsta-Rap die Ghettoisierung amerikanischer Großstadtsprawls und die Perspektivlosigkeit der schwarzen Jugend thematisierten, im politischen Conscious-Rap teils radikale Black-Panther-Parolen verwendeten und im Porno-Rap das Klischee des langschwänzigen, überpotenten Schwarzen karikierten, taten sich die Deutschen etwas schwerer. Denn im Beipackzettel des Importprodukts Hiphop wurde gleich der Slogan "Keep It Real" mitgeliefert. Noch in den 90er Jahren wurde im Deutschrap stets mahnend betont, wir seien ja nicht in Compton oder der South Bronx und von Zuständen wie drüben weit entfernt.

Der deutschsprachige Rap beschränkte sich daher auf Competition, selbstreferentielle Rap-ist-mein-Leben-Sprüche, Wortspielereien, das Suchen nach ausgefallenen Reimworte und dergleichen - im Grunde genommen nur konsequent wenn man bedenkt, dass Deutschland sich nach wie vor als das Land der Dichter und Denker versteht.

Erst als sich der deutsche Rap ab etwa der Jahrtausendwende vornehmlich in der Berliner Szene der bislang geschmähten Sparten Gangsta und Porno annahm zeichnete sich der rückwärts gerichtete Alterungsprozess des deutschen Hiphop in aller Deutlichkeit ab. Während der amerikanische Rap "drüben" mit allen Phasen von der Kindheit über die Pubertät organisch heranwuchs, kam er in Deutschland als fertiger Erwachsener an. Und er holt seither nicht bloß die Kindheit nach, die er hierzulande nie so richtig haben durfte, er entwickelt sich wie Benjamin-Button zum Kind zurück.
Inzwischen rappt in Deutschland nämlich dieselbe soziale Klientel wie damals in Amerika: Migranten, gesellschaftliche Außenseiter, die Unterschicht, das, was Soziologen das "abgehängte Prekariat" betiteln. Und sie tut dies nicht in Jugendzentren unter der Aufsicht altlinker Sozialpädagogen, die stolz sind dass "ihre Kids wenigstens mal was Sinnvolles" machen, sondern losgelöst von sämtlichen Dogmen und jeglicher Aufsicht.

Dass sie dabei nicht weniger dogmatisch sind als die Deutschrapper der 90er Jahre muss an dieser Stelle genausowenig diskutiert werden wie die Frage, ob sich der einfache, auf Schlagworte reduzierte Straßenrap hierzulande ausgelutscht hat. Vielmehr wollen wir nun auf die Kritik, und damit die szeneinterne Reaktion auf diese Art Musik kommen.

Unter den Rap-Kritikern finden vornehmlich Altvordere des Deutschrap, typische Oldschooler, also zusammengefasst: alle diejenigen, die vor zehn Jahren das erwachsene, auf Competition und Wortspiele zentrierte Importprodukt Hiphop abgefeiert haben. Und wie alle Erwachsenen es seit ewigen Zeiten tun blicken sie auf die nachfolgende Generation mit einer Mischung aus Ablehnung und Unverständnis, welche sich im Alltag im abgenutzten "Diese Jugend von heute"-Spruch äußern würde.
Im Alltag. Im Hiphop schlägt sie eher mit Sprüchen wie "Das soll Rap sein? Die benutzen ja nichtmal Doppelreime" zu Buche, und hier mischt sich ein weiteres, vielleicht typisch deutsches Phänomen ein, der Kulturchauvinismus: Kunst, das ist ein bestenfalls akademisches, in jedem Falle aber mit hohem geistigen Aufwand verbundenes Produkt, dahinter stecken große Gedanken, also alles, was die klassische Deutschlehrer-Frage "Was will uns der Dichter damit sagen?" rechtfertigt. Folgerichtig guckt sich der Kulturchauvinist also den Künstler an und sieht bloß den Neuköllner Kanaken mit Hauptschulabschluss, und was kann so einer sich schon groß dabei gedacht haben, als er sich seine lyrisch einfachen gewaltverherrlichenden und/oder frauenfeindlichen Texte zusammengereimt hat...?

Wie der Kulturchauvinismus sich in der Praxis äußert sieht man am öffentlichen Umgang mit der Rapperin Lady Bitch Ray. Ihre Porno-Rap-Texte sind in der Wortwahl nicht anders als die ihrer männlichen Kollegen. Aber Lady Bitch Ray hat Germanistik studiert und ist Doktorandin an der Uni remen, und während die Zeitschrift "Stern" einst die Pornoraps des nichtstudierten Künstlers Frauenarzt als "Vergewaltigungs-Alptraumszenarien" betitelte, wurden Lady Bitch Rays kaum zimperlichere Texte in der Zeitschrift "Die Zeit" als "perfekte Imitation der Jugendsprache" gelobt - klar, die Dame hat studiert, da muss ja mehr dahinterstecken.

Dass der Kulturchauvinismus auch die Mehrheit der Deutschrap-Szene dominiert sieht man weniger an direkter Herabsetzung von Künstlern aus dem Straßenmillieu - das geht nicht, denn der Hiphopper ist laut Selbstverständnis natürlich tolerant -, sondern an den Ansprüchen, die landläufig an "guten Rap" gestellt werden: ungewöhnliche und mehrsilbige Reimworte, ausgefeilte Vergleiche, durchdachte Punchlines und gedanklich klar strukturierte Texte, um nur einige Stichpunkte zu nennen. Alles Maßstäbe, die wie diejenigen, die sie festsetzen, aus jener Zeit stammen, da Hiphop noch erwachsen, reif und bedacht war. Und da man mehrsilbige und ungewöhnliche Reimworte natürlich nur mit einem entsprechend großen Wortschatz zustandebringt, bleibt der Neuköllner Kanake mit Hauptschulabschluss halt außen vor, bzw. ist "wack".

Genau dies ist eines der größten Probleme der Kritik im Deutschrap. Aus irgendeinem perfiden, nie verfassten aber in vielen Köpfen doch existenten Oldschool-Regelbuch werden die Maßstäbe entnommen und Künstlern aufgezwängt, die auf solche Maßstäbe oftmals gar keinen Wert legen. Sicher: dass die Kritik der Kunst immer einen Schritt hinterherhinkt liegt in der Natur der Sache, Aktion und Reaktion eben. Aber besonders im Deutschrap sind die Maßstäbe derart zementiert, dass
es den Anschein erweckt als errechne sich die Qualität eines Raps-Tracks anhand des Flows oder der Punchline- oder Doppelreimdichte quasi von selbst.

Die Kritik muss einsehen, dass es keine zu erfüllenden Vorgaben im Rap gibt, sondern wie in jeder Kunstrichtung eine gigantische Palette an Stilmitteln, die der Künstler einsetzen kann. Die Stimme, der Stimmeinsatz, die Betonung, schwer spezifierbare Faktoren wie Delivery, Authentizität und Atmosphäre, all dies und vieles mehr machen am Ende das Gesamtprodukt aus. Und wenn ein Rapper ausschließlich assonante und einsilbige Zweckreime verwendet oder in einem simplen, auf Snare betonten Stakkato-Flow rappt, dann sagt das nichts über seine Fähigkeiten oder die Qualität des Tracks aus, sondern ist zunächst einmal eines dieser Stilmittel.

Man übertrage das schlichtweg auf den Film: Lars von Trier etablierte in seinen Dogma-Filmen die verwackelte Handkamera (die z.B. später dann auch in "großen" Hollywood-Produktionen wie "Private James Ryan" als Stilmittel zum Einsatz kam) und erzeugte damit eine eigene, extrem authentische "Mittendrin"-Atmosphäre. Wären die Maßstäbe in der Filmkritik so festgefahren wie im Rap, hätte die Kritik darauf vermutlich so reagiert: "Die Filme sind schlecht, weil sie mit verwackelter, grobkörniger Handkamera gefilmt sind, war der etwa zu doof stillzuhalten und hatte zuwenig Kohle für 'ne Full-HD-Cam?!"

Lars von Trier wurde gerade wegen der Konsequenz, mit der er seine Stilmittel einsetzte, gewürdigt. Ein Rapper, der mit der gleichen Konsequenz die Maßstäbe der Rap-Kritik ignoriert, gilt dagegen als "unbelehrbar schlecht". Dass durch solche Aburteilungen Fronten verhärtet anstatt aufgeweicht werden, dürfte klar sein.

Mittwoch, 12. Mai 2010

Kalte Wut oder: Was ich schon immer mal loswerden wollte über BPJM & Co.

Eigentlich habe ich mir vorgenommen, mich nicht mehr groß mit der BPJM, ihrer Spruchpraxis und den Gremiums-Entscheidungen zu befassen, genauso wie ich mich nicht mit Wahlprogrammen, der Berichterstattung über die Griechenland-Krise und Pippi-Langstrumpf-Verfilmungen befasse. All das regt mich nur auf, und die Aufregung nutze ich lieber sinnvoll.

Nun wird mir die Beschäftigung mit der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien leider aufgezwungen, da inzwischen in regelmäßigen Abständen Schreiben aus der Bonner Behörde eintrudeln, in welcher Hirntot Records mitgeteilt wird, dass diese oder jene CD mal wieder dazu taugen KÖNNTE, gefährdungsgeneigte Jugendliche sozialethisch zu desorientieren und zu verrohen. Soweit, so gut.

Zugegeben: Hirntot Records ist bei Ihrer Behörde, liebe Beisitzer, nicht unbedingt auf die liebevollste Art & Weise vorstellig geworden. In einem allseits bekannten Track, dessen Namen ich nicht nennen darf, haben wir den Jugendschützern im allgemeinen und Monika Griefahn im speziellen kräftig vor's metaphorische Schienbein getreten - eine Aktion, von der wir heute selber wissen, dass sie überzogen war. Einsicht schützt vor Strafe nicht, aber das Thema kennen wir ja alle. Auch um den Eindruck, den die Damen & Herren von uns denn hatten, ein wenig zu korrigieren, reisten wir persönlich zu einem Termin nach Bonn, da wir gegen eine Indizierungsentscheidung Widerspruch eingelegt hatten, und saßen dem gefürchteten 12er-Gremium Auge in Auge gegenüber.

Anders als erwartet war das kein aus Grundsatzhatern bestehendes Tribunal: wir hatten eine Runde von durchaus sympathischen Mitbürgern vor der Nase, und redeten mit denen halt über unsere Musik, auf eine analytische Art und Weise, wie man sie sich als Künstler im Grunde genommen nur wünschen kann. Wort für Wort gingen wir gemeinsam die Texte durch, hie und da schmunzelten manche oder zogen die Augenbrauen hoch, es wurde über Nebensätze und Verlegenheitsreime diskutiert, doch, es war ein nettes Gespräch. Dass die CD letzten Endes doch indiziert wurde, trübt das Ganze natürlich etwas, aber gut. Weiter im Text.

Ich habe also, wie sich sicherlich jeder denken kann, nun mit meinem Vorhaben gebrochen und mich wiedermal auf www.bundespruefstelle.de umgeschaut, und da fielen mir sofort 2 Dinge ins Auge.

Zum einen: Die "Freitag, der 13."-Filmteile 5 bis 8 sind vom Index runter. Einfach so. Keine Folgeindizierung. Wir erinnern uns: "Freitag, der 13.", das ist Jason Vorhees, der Eishockey-Atze mit der Machete, das ist der, der im Gegensatz zu Michael Myers aus "Halloween" keinen halbwegs psychologischen Unterbau hat, nein - Jason, das ist der anonyme, gesichtslose Schlächter, der seit zig Filmen Camp Crystal Lake unsicher macht, wahllos Teenies schlachtet, dessen Motivation nie so richtig erklärt wird (außer, dass er als Kind von den anderen wegen seines Aussehens gemobbt wurde und dass seine Mama 'nen Knall hatte gibt's da ziemlich wenig). Also genau der Jason, der nach den Maßstäben der BPJM, die ja bekanntlich selbstzweckhafte" Gewalt als besonders verwerflich ansieht, die größte Sau von allen sein müsste - was, liebe Gremiumsbeisitzer, ist bitte selbstzweckhafter, als unmotiviertes und wahlloses Metzeln? ERKLÄRT ES MIR! - also, DIESER Jason, der nichts anderes zu tun hat als jeden Teenie auf irgendeine Weise zu filettieren, der ist plötzlich nicht mehr geneigt, Jugendliche zu verrohen. Ich gieße mir jetzt lieber keine Tasse Kaffee mehr ein, merke ich gerade, mein Herzschlag ist auf Hundertachtzig.

Dass wir uns nicht falsch verstehen & um mich einmal tief durchzuatmen zu lassen: Ich find es gut, dass Jason weitestenteils von der Liste runter ist. Ich mag die "Freitag, der 13."-Filme, auch wenn sie unter filmischen Maßstäben Gurke auf Erdnussbutter sind, relativ storylose Schema-F-Slasher mit den immergleich herrlich dämlichen Pubertierlingen als Opfer des Machetenschwingers. Ich mag diese Filme gerade weil sie blöd und in gewisser Weise ehrlich sind, es geht da eben nur ums Metzeln, scheiß ma auf Kamera-Einstellungen und Atmosphäre à la "Halloween - Die Nacht des Grauens", das braucht kein "Freitag, der 13."-Teil: wir haben Nacht, wir haben einen See, wir haben eine Horde fickenderkiffendersaufender Kids und einen stummen Schlitzer, das muss genügen.

Und das müsste auch genügen, um den Film auf dem Index zu lassen, denn, ich wiederhole mich: Was zum Teufel ist selbstzweckhafter als ein Killer ohne Background, ohne echte Geschichte, ohne den Hauch einer menschlichen Regung, der es als Lebensaufgabe sieht einen hohe Body Count an blondierten Barbies und dumpfbackigen Quarterbacks zu erzielen? Ich sehe da gerade irgendwie nichts selbstzweckhafteres, und es bestätigt mich einmal mehr, liebe Gremiumsbeisitzerinnen und Gremiumsbeisitzer (das -innen hab ich oben vergessen, aber wir wollen ja politisch korrekt bleiben), es bestätigt mich darin, dass die Entscheidungen der BPJM pure Willkür sind.

Die groben Vorgaben, nach denen indiziert wird, lauten: "Ob ein gewalthaltiger Film als jugendgefährdend eingestuft wird oder nicht, hängt zum ersten davon ab, ob die Gewalttaten gegen Menschen bzw. menschenähnliche Wesen oder abstrakter gegen Phantasiefiguren ausgeübt werden und in einen Kontext eingebunden sind, der eine Relativierung der Gewalt im Sinne prosozialer Interpretation der Filmhandlung und das Mitleiden mit den Opfern verhindert oder zulässt. Außerdem wird die Einschätzung der Jugendgefährdung eines gewalthaltigen Films davon abhängig gemacht, ob Gewalt ein zentral prägender Bestandteil des Films ist, selbstzweckhaft, detailliert und realistisch dargestellt wird und womöglich "im Dienst einer guten Sache" als gerechtfertigt erscheint." (Quelle)
Mit diesen Vorgaben kriegt man locker jede "Tom & Jerry"-Folge, jeden Bud Spencer & Terence Hill-Klopper und jeden Patricia Highsmith-Krimi auf den Index, die Vorgaben sind sowas von weitläufig, unpräzise und offen, dass es tatsächlich der jeweiligen Laune der BeisitzerInnen geschuldet ist, was denn ma gerade jugendgefährdend ist und was nicht.

Und die BPJM weiß selber, dass die Spruchpraxis nicht "statisch" ist, wie sie konstatieren, sondern dem gesellschaftlichen Wandel unterworfen ist. Heißt: was heute jugendgefährdend ist, ist morgen vielleicht schon pädagogisch wertvoll. Heißt weitergedacht: Der persönliche Geschmack entscheidet, welche Gewalt aktuell selbstzweckhaft, zentral prägender Bestandteil des Films usw. usf. ist. Heißt bis zum bitteren Ende gedacht: es herrscht tatsächlich Willkür in der Behörde. Sorry, liebe Gremiums-Beisi... (die Anrede-Floskel spar ich mir an dieser Stelle), aber bei Licht betrachtet machen Sie eben nichts anderes als das, was Ihnen gerade nicht passt, in den Giftschrank zu packen. Aber die Kritik kennen Sie sicher schon und perlt an Ihnen ab wie Wasser auf geölter Haut.

Kommen wir aber nun zu dem zweiten Punkt, der mir auffiel, und der hat nichts mit Indizierung, Folgeindizierung oder Listenstreichung zu tun. Beim weiteren herumstöbern auf den Seiten fand ich schließlich unter den "Häufigen Fragen" die folgende: "Ist eine Indizierung heutzutage überhaupt noch sinnvoll?"
Yum, dachte ich mir, endlich mal was frisches, dass sich die Kids irgendwelche indizierten Medien illegal aus dem Netz herunterladen, wenn es die halt nicht mehr zu kaufen gibt, hat sich inzwischen auch bis nach Bonn herumgesprochen, coole Sache, direkt mal lesen. Also las ich. Und zwar dies:

"Eine Indizierung durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien setzt ein wichtiges Zeichen gegenüber Produzenten und Vertreiber und signalisiert diesen, wann Inhalte gegen die in der Gesellschaft allgemein anerkannten Erziehungsziele und Werte verstoßen. Zugleich geben Indizierungen auch Eltern und allen Erziehenden wichtige Anhaltspunkte für die Medienerziehung." (Quelle)

Okay. Ich schenke mir nochmal Kaffee nach, für den Showdown brauche ich hohen Puls. Dieses kleine Textlein verrät uns zweierlei. Erstens: Die BPJM ist weder blauäugig-blöd noch verlogen. Sie sagen es zwar nicht direkt, aber sie wissen, dass dank Rapidshare & Co. jeder zehnjährige Stöpsel mit Internetanschluss sich das indizierte Medium halt auf illegalem Wege beschafft, dass das eigentliche Ziel, nämlich die Jugend vor verrohendem Schmutz und Schund zu bewahren, an keiner Stelle greift. Diese Einsicht ist gut, ist ehrlich, ist beinahe löblich. Aber nur beinahe, denn zweitens sagt uns dieser unschuldige Text wimpernklimpernd, dass es auch gar nicht darum geht, den Kids ihren Splatter-Spaß zu nehmen, sondern nur darum, den Vertreibern und Produzenten von verrohendem Schmutz und Schund ans Bein zu pinkeln, also Künstlern, deren Kunst man gerade nicht versteht oder die man nicht leiden kann, das Geschäft zu zerstören. Das ist ungefähr so, als würde man einen Mörder weiter frei herumlaufen lassen und statt dessen dem Hersteller der Waffe, die der Mörder benutzt hat, den Prozess machen. Ein pathetisch-überzogener Vergleich, ich weiß, aber das ist mir gerade mal ziemlich latte. Und auch diese schöne Formulierung, die Indizierungsentscheide gäben "auch Eltern und allen Erziehenden wichtige Anhaltspunkte für die Medienerziehung" ist, mit Verehrung, eine Unverschämtheit, denn damit sprechen Sie, werte BeisitzerInnen & Jugendschützern, den Eltern die intuitive Fähigkeit ab zu wissen, was gut für's eigene Kind ist. Ja, mag man jetzt einwenden, bestimmt gibt es hie und da Eltern, denen diese intuitive Fähigkeit abgeht. Das ist richtig, aber solche Eltern werden dann neben den Bedürfnissen ihres Kindes auch die "Anhaltspunkte" und Signale der BPJM geflissentlich ignorieren.

Liebe BPJM-Mitarbeiter, liebe ehrenamtlich tätige Gremiumsbeisitzer, liebe Jugendschützer, ich bin mir sicher, dass Sie allesamt gute und redliche Menschen sind, die für unsere Kinder nur das Beste im Sinn haben. Ich finde das auch äußerst lobenswert, denn Kinder sind unsere Zukunft. Ich bin mir sicher, dass Sie es allesamt gut meinen, aber das rechtfertigt nichts und entschuldigt noch weniger. Tun Sie das einzig richtige: reformieren Sie diese Behörde, passen Sie die BPJM und bitte auch sich selbst der Zeit an. Sie sagen es ja (implizit) selber, ihr ganzes gutgemeintes Tun ist für die Katz und schießt am eigentlichen Ziel meilenweit vorbei, jeder ultrabrutale Splatterkannibalenzombiegewaltporno, den Sie heute auf Liste B packen, zieht sich der Nachwuchs morgen aus dem Netz eben weil er indiziert ist. Ja sicher, der Vertreiber/Produzent/Künstler ärgert sich über einen Listeneintrag, aber bringt es etwas? Schauen Sie sich bitte die Film- und Musikveröffentlichungen der letzten Jahre an, diese Kunst, pardon: dieser Schund ist gesellschaftsfähig geworden. Ich wiederhole: reformieren Sie die Behörde, tun Sie etwas sinnvolles. Lehren Sie die Kids Medienkompetenz, lehren Sie die Kids, wie sie mit diesen Bildern, Worten umgehen müssen. Sie kriegen weder Saddams Hinrichtung aus dem Netz noch von den Schulhof-Handys runter, also bringen Sie den Kindern bei damit umzugehen. Meinen Sie es nicht nur gut, machen Sie es auch gut. Verwerfen Sie Methoden, wenn sie überholt sind. Sie können nicht mit einer einschüssigen Muskete aus Napoleons Zeit in den Krieg ziehen, wenn Ihr Feind Satellitenortung, vollautomatische Maschinengewehre und Mörser hat. Reformieren Sie die Behörde. Fangen Sie an, diejenigen, die Sie beschützen wollen, zu verstehen. Reden Sie mit ihnen. Und viel wichtiger: Hören Sie ihnen zu. Dass die Jugend orientierungslos, leistungsschwach und dumm wie blöd ist wissen wir seit Sokrates, aber das ändert nichts daran, dass auch diese Jugend erwachsen wird, und ihrerseits dann die Jugend für orientierungslos, leistungsschwach und dumm wie blöd hält. Durchbrechen Sie diesen sinnlosen Kreislauf: reformieren Sie die Behörde. Erinnern Sie sich zurück, als Ihre Eltern Elvis als Sexmonster verteufelten, die Beatles als pilzköpfige Drogenjunkies verdammten oder Ihnen die Tarzan-Comics wegnahmen, weil Ihre Vorgänger bei der BPJM diese Comics für entwicklungsgefährend hielten. Und ja, für Ihre Eltern war das ganze Teufelszeug damals genauso widerlich wie Ihnen diese ganze menschenverachtende Rapmusik, diese üblen Splatterfilme und diese noch viel schlimmeren Killerspiele. Reformieren Sie die Behörde. Reformieren Sie Ihre Denkstrukturen. Öffnen Sie sich dem Neuen. Seien Sie nicht einer von diesen engstirnigen, bornierten und festgefahrenen Spießern, die Sie früher so verachtet haben. Die wussten es damals nicht besser, und Sie wissen es heute nicht. Ist mein pathetisches Gequatsche gerade verlorene Liebesmüh'? Bin ich gerade Don Quixote? Gebe ich den Sisiphos? Nicken Sie nicht zu voreilig, liebe Jugendschützer, denn auch Sie haben Ihre Windmühlen zu bekämpfen und ihre Steine zu rollen. Reformieren Sie die Behörde. Ich weiß, diese Wiederholungen beginnen zu nerven, aber jetzt wissen Sie wie es mir geht, wenn ich einen neuen Indizierungsbescheid aus dem Hirntot-Postfach fische. Ich habe noch etwas Kaffee gemacht, ich bin gerade auf Hundertachtzig, ich stehe kurz vor dem Herzinfarkt, und alles nur weil Sie es gut meinen.

Ich werde mir jetzt gleich noch einen nach §131 beschlagnahmten Kannibalenfilm ansehen, den ich mir uncut aus Österreich gekauft habe, ich werde mich dabei entspannen, wie irgendwelche schlecht gecasteten Indiokomparsen einem an den Marterpfahl gefesselten Kerl in Großaufnahme den Schniedelwutz abschneiden und wie eine Blondine ein paar Fleischerhaken durch die Titten gebohrt bekommt und dann daran aufgehangen wird. Ich werde mir das ansehen, und das wird meine ohnmächtige Wut über die Willkür Ihrer Behörde ein wenig auffangen, ich werde vielleicht danach schlafen, ohne mir wegen meines Ärgers über Sie im Schlaf die Zähne kaputtzuknirschen und einen weiteren Zahn abzubrechen.

Ich brauche einen neuen Backenzahn weil Sie es gut meinen.

Mit freundlichen Grüßen,
Schwartz

P.S.: Die Flüchtigkeitsfehler unterstreichen die Authentizität dieses Textes.

P.S.S.: Reformieren Sie die Behörde.

Freitag, 30. April 2010

Warum "School-Shooting-Star" kein blödes Wortspiel ist (leider)...

Vor nicht allzulanger Zeit, am 17. September 2009, veranstaltete ein Schüler in seiner Schule, dem Carolinum-Gymnasium in Ansbach, einen Amoklauf, bei dem es glücklicherweise keine Toten gab, dafür einen Haufen Schwerverletzter (Details zu dem Fall finden sich hier). Das "Besondere" an der Tat: der Amokläufer wurde lebendig gefasst, und die Öffentlichkeit erhoffte sich nachvollziehbarerweise zufriedenstellende Erklärungen zu seinem Motiv, den Hintergründen etc. - in gewisser Weise ein Lichtblick, das Sündenbock-Shooting der Kommentarwichsmaschinen in öffentlichen Talksondersendungen blieb Otto Normalkillerspieler damit erspart. Aber gut.
Der Prozess gegen den Amokläufer von Ansbach endete heute mit einer neunjährigen Haftstrafe für den Täter sowie Unterbringung in einer Psychoklinik.
Der Fall wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt, was Spiegel-Online-Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen zu einer Artikelgurke mit dem Titel "Maulkorb für die Medien" veranlasste. Schon der Titel ist Magerquark mit Chili, denn kein Journalist bekam einen Maulkorb - es durfte halt nur kein Zeitungsfritze bei der Verhandlung anwesend sein, was im Ermessen des Richters liegt. Schließlich war der Angeklagte zum Tatzeitpunkt 18 Jahre alt und damit Heranwachsender, wie auch Frau Friedrichsen fairerweise anmerkt, so dass ein Ausschluss der Öffentlichkeit durchaus nichts Ungewöhnliches ist.
Aber weiter im Text. Nachdem der ziemlich schluderig formulierte und wahrscheinlich der hübschen Alliteration geschuldete Titel abgefrühstückt ist folgt nach einer kurzen Einleitung Frau Friedrichsens empörte Frage: "Gibt es wirklich durchgreifende Gründe, warum die Öffentlichkeit, und das sind in erster Linie die Medien, an diesen Informationen nicht teilhaben soll?"
Und hier kann denn auch eigentlich aufhören zu lesen, denn: natürlich, liebe Frau Friedrichsen, gibt es durchgreifende Gründe. Ein Gerichssprecher sagte am Ende der Verhandlung, der Amokläufer wollte auf diese Weise Selbstmord begehen, er wollte die Tat regelrecht inszenieren, um dann von der Polizei erschossen zu werden. Und wie ist er wohl auf diese Idee gekommen? Was hat ihn zu dieser Tat inspiriert? Nein, weder Killerspiele, noch Splatterfilme, noch sonstwas. Auf so eine Idee kann man wohl nur kommen, wenn man sich z.B. die Berichterstattung deutscher Medien über School-Shootings von Erfurt bis Winnenden anschaut.
Wenn der Täter, wie damals z.B. von BILD, in heroischer Pose mit Kampfanzug und Waffe großflächig abgebildet wird, wenn ein paar Tage lang sich das ganze mediale Land die Hirnwindungen über mögliche Motive weichfaselt und wenn Möchtegern-Profiler von SPIEGEL bis FAZ die Psyche des Amokläufers durchleuchten und ihn zum in-sich-gekehrten, stillen Outlaw hochstilisieren (fehlt nur noch der Direktvergleich mit irgendeinem Italo-Western-Protagonisten), dann - ja, was dann? Dann können mitunter in-sich-gekehrte, stille Outlaws mit dem entsprechenden Blechschaden in der Birne durchaus auf die Idee kommen, dass, wenn ja eh schon alles scheiße ist, man zumindest für einen öffentlichkeitswirksamen Abgang sorgen kann, indem man sich durch ein Schulgebäude schießt.
Dass diese gar nicht mal alllllllzu weit hergeholte These natürlich mit keiner Silbe und in keiner Zeitung erwähnt wird, liegt in der Natur der Sache, denn dann müsste jene Medien, die Informationspflicht und Sensationsgeilheit gerne mal durcheinanderbringen, wirklich einen Maulkorb bekommen.
Von ihrem eigenen Gewissen.

Montag, 19. April 2010

Der Hirntot-Roman ist fertig geschrieben.

Es ist vollbracht. Heute gegen 19 Uhr abends tippte ich die verheißungsvollen Worte "Ende des ersten Buchs" unter das Manuskript des Hirntot-Romans "Jäger der Nacht", dem ersten Roman der "Schattensyndikat"-Trilogie.
Nachdem ich mich jetzt ca. hundert gefühlte Jahre und vier tatsächliche Monate im stillen Kämmerlein eingeschlossen hatte, und bei fahlem Dämmerlicht mit viiiiel Kaffee und weeeenig Schlaf an dem Werk geschrieben habe, sah ich heute abend zum ersten Mal wieder Sonnenlicht, und das war dann auch noch gerade im Untergang begriffen. Okay, ich übertreibe. Aber die Arbeit war hart.
Wer mich in den letzten Wochen, die sozusagen die Endphase bzw. meinen Endkampf mit dem Manuskript darstellten, gesehen hatte, sah einen übernächtigten, blassen, langbärtigen Mutterficker mit Augenringen wie Autoreifen, der sich mit einem völlig zerstörten Immunsystem jedes Virus anlachte das ihm unter & in die Nase kam. Ich übertreibe nicht wenn ich sage, dass die Arbeit schweißtreibend, nervenzermürbend und blutaussaugend war.
Dabei stand der Plot der Geschichte schon recht lange fest. Blokkmonsta und ich hatten damals an einigen kreativen Abenden brainstormartig die grobe Story skizziert, die dann recht lange unberührt in der Schublade vor sich hingammelte, ehe ich mich schließlich aufraffte und den ersten Satz in die Tasten hieb. Und wenn man einmal angefangen hat, dann muss man es auch zu Ende bringen.
"Jäger der Nacht" wird natürlich kein literarisches Experiment in der Tradition von "Ulysses" oder "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit", es ist einfach nur ein unterhaltsamer, spannender Thriller und mehr will es auch nicht sein. Zur eigentlich Geschichte will ich mich noch bedeckt halten, aber sie ist, verglichen mit dem schmalen Plot den wir zusammengekritzelt haben, zu einem beachtlichen Werk herangewachsen.
Das interessante beim kreativen Schreiben ist, dass die Geschichte die man erzählt irgendwann beginnt eine gewisse Eigendynamik zu entwickeln. Man lernt im Laufe des Schreibens die Hauptfiguren, die vorher nur als steckbrieflich skizzierte Notizen in einer Textdatei herumgammelten, als "richtige" Menschen kennen und schätzen, sie wachsen einem regelrecht ans Herz und man kommt mitunter an ziemlich nervenaufreibende Grenzen - wenn man zum Beispiel merkt, dass eine Figur die laut Plot zum Beispiel jemanden eiskalt umbringen soll so etwas eigentlich niemals täte, weil sie schlichtweg kein Killer ist. Würde man sie trotzdem dem Plot gemäß handeln lassen, würde jeder Leser sagen "Nein, das ist nicht der XY, den ich vor 50 Seiten kennengelernt habe", und genau das darf nicht passieren.
Man kommt unzählige Male an genau solche Punkte, da man den Plot erweitern, umschreiben, modifizieren muss, ich musste unzählige Figuren hinzudichten damit am Ende die Story auch in der Form herauskäme wie erwünscht. Besonders das letzte Drittel des Romans war eine quälende Phase aus Umschreiben, Nachbessern und Korrigieren, und ich bin ziemlich erleichert, dass nun ein Großteil geschafft ist. Die jetzt anfallenden Korrekturen sind nur noch Kleinigkeiten, da ich bereits während längerer Schreibpausen alte Passagen nachlas, umschrieb und ausbesserte.
Zur Story selbst - will ich noch nicht allzuviel sagen. Genauer, ich will noch gar nichts sagen. Zunächst Mal lasse ich diejenigen Atzen und Freunde, die sich zum Probe- und Korrekturlesen bereit erklärt haben, das Manuskript komplett durchgehen, um etwaige Logik- oder sonstige Fehler (die man ab einem bestimmten Punkt als Autor gar nicht mehr erkennen kann) auszubessern. Vielleicht nur soviel: es hat besonders viel Spaß gemacht die Passagen mit den Hirntot-Leuten zu schreiben, ich habe unzählige Aspekte eingebracht die auf Tracks von uns verweisen, ich habe die Charakterzüge der jeweiligen Personen figurengerecht eingebracht und hie und da sind Insider versteckt, die für weit weniger als Dritte verständlich sein werden - sozusagen als Gegenstück zum Hidden Track auf einem Album.
Achja, eines noch: bei allen Bezügen zu den wirklichen Personen ist diese Geschichte selbstverständlich fiktiv, nichts davon ist wirklich passiert, nichts davon wird wirklich passieren. Es muss sich also niemand auf den Weg in die Wälder im Berliner Umland machen um die zahlreichen Leichen zu bergen, die sich im Laufe der Geschichte angesammelt haben ;)
Das Cover, einen Auszug aus dem Roman als Leseprobe, ein kurzes Exposé, den Releasetermin und alle weiteren Infos werden in den nächsten Wochen bekannt gegeben.

Freitag, 9. April 2010

ES HÖRT NICHT AUF!!!

4:30h Morgens und ich diniere, SchwarTzbrot mit Fleischwurst & Kochschinken, yumyum. Sämtliche aalglatten Formulierungen sind für das letzte Kapitel des Hirntot-Romans, an dem ich nonstop arbeite, draufgegangen, also wringe ich jetzt mein Resthirn aus und verspritze ein paar Infos zu meinem neusten musikalischen Projekt in den Äther...
Titel & Inhalt: TOP SECRET! Aber ein paar Tipps können nicht schaden, und ich weiß ja, wie gerne spekuliert wird, nichwahr?!?
Denke, ich liege nicht ganz falsch wenn ich konstatiere, dass besagtes musikalisches Projekt das Kaputteste ist, was meinem Hirn bis dato entsprungen. Aber was ist kaputt? Die Welt oder ichhöchstselbst bzw. meine Sicht auf die Welt? Don' know & don't care.
ABER: Preisfrage an alle Psychokore-Untergrund-Experten - wessen Gedanken sind mind. genauso kaputt wie meine? RICHTIG. R.O.D, der sympathischste Abschaum der Menschheit, der frei rumläuft, JA, der gute Mann wird einen schönen Part rocken und stellt einen Beat zur Verfügung, und wenn R.O.D mit von der Party is, dann darf WMM23 auch nicht fehlen, der Experte für ultradüstere, experimentelle Grime-Beats hat ein paar Klangkunstwerke programmiert, die sich aber mal sauber gewaschen haben! Naturgemäß die Hirntot-Posse, die am Stizzel ma nizzel sein wird. Ebenfalls mit Wort & Klang vertreten: Scheusal & Kunstfehler, die Hässlich Rap-Brigade, Suffkumpane, Foltermeister der Herzen, Prost Freunde! Michelmann, der alte Miami-Bass-Pornograf, gibt sich ebenfalls die Ehre, und es ist mir eine selbige, dass seine Hirntot-Album-Entjungferung auf meinem Projekt stattfindet - Gruß in die Ex-Heimat! Aber die Liste hört nicht auf, ES HÖRT NICHT AUF! Orgi69 rastet mal wieder aus, wie er bei Hirntot immer auszurasten pflegt! Rako, der Panzergrenadier, ist mit aufs Kettenkarussell gestiegen! DNP, Bassti & Beatmasta, die beiden versoffenen Schnapsdrosseln haben ein paar wunderschöne Heimatmelodien & Hirnsfürze gezaubert, um den letzten Schliff zu geben, achja.. mehr gibts vorerst nicht, aber SIND DAS nicht NEUIGKEITEN? ES SIND NEUIGKEITEN!
NUN darf spekuliert werden, was genau das für ein Wwwerk wwwerden wwwird. Und ich merk gerade, dass das SchwarTzbrot alle ist.

Gepflegten Freitag wünscht euch euer Freund Schwartz.

Samstag, 3. April 2010

Etwas Besseres?

Neulich saß ich, wie oft in letzter Zeit, am Rechner und schrieb am Hirntot-Roman "Jäger der Nacht" (Infos dazu folgen). Im Hintergrund hatte ich Myspace, Facebook und Jappy offen, wo ich ab & an mal einen Blick reinwarf.
Irgendwann, ich hatte gerade an einem längeren Dialog gearbeitet und die Zeit vergessen (kommt häufig vor), aktualisierte ich Myspace, und fand vier neue Messages von einer Person, die wir mal GURK nennen wollen, vor. Ich klickte sie also an...

1. Nachricht: "na was geht"

2. Nachricht, ca. 5 Min nach der vorherigen: "jo atze was geht schreib ma zurück"

3. Nachricht, abermals 5 Min nach der vorherigen: "schreib mal zurück pls"

4. Nachricht, 10 Min nach der dritten: "tsss was bist du für einer schreibst nichmal zurück denkst wohl du bist was besseres fick dich du wixxxa"

(Orthographie & Interpunktion originalgetreu übernommen)

So schnell geht's. Und weil ich diese Mails einfach zu geil fand, will ich dem werten GURK öffentlich und in aller Herzlichkeit danken & antworten: Nein, ich denke nicht dass ich etwas Besseres bin, absolut nicht. Ich bin ein Mensch wie jeder andere, und wie jeder andere Mensch will ich nicht einfach so von Wildfremden mit einem unhöflichen und respektlosen "Na was geht" angelabert werden - so einfach ist das. Davon abgesehen dürfte es auch nicht zuviel verlangt sein, einen Blick unter "Gesendete" zu werfen und zu überprüfen, ob die vorherige Mail schon gelesen wurde, ehe man eine neue hinterherwirft, bei Myspace geht das ja. Und noch weniger schadet es, sich meinen Blog durchzulesen, wo ich die oft gestellten Fragen beantworte (zu denen natürlich auch "Na, was geht" gehört ;) -> http://blogs.myspace.com/index.cfm?fuseaction=blog.view&friendId=96487615&blogId=462607840 ).

Allen höflichen & respektvollen Menschen noch angenehme Feiertage & viel Spaß bei der Eiersuche!

Mittwoch, 2. Dezember 2009

Halt durch, Britt!!!

Der Vorteil, wenn man kein TV hat: "Deutschland sucht den Superstar", "Dschungelcamp" und "Frauentausch", also all jene merkwürdigen Beschäftigungstherapien und Beruhigungsmittel für die Bundesbürger, gehen völlig an einem vorbei, und man hält den Geist frei für die wichtigen Dinge des Lebens (Ficken, fressen, schlafen). Der Nachteil: Man verpasst das Austerben der Formate, in diesem Fall: den Tod des Daily Talk.
Ich war ehrlich geschockt, als ich neulich die Fernsehzeitung durchforstete und feststellen musste, dass der gute alte Mittagskrawall-mit-Moderator so gut wie nicht mehr existiert! Einzig und allein Britt, diese skandinavische Schönheit, talkt nach wie vor in der gleichnamigen Show ab 13 Uhr für eine Stunde herum, sie hält sozusagen einsam die Flamme des mittäglichen Phrasendreschens in den Himmel, der von Doku-Soaps à la "We are Family verdunkelt wird (jaja, ich hab heut wieder meinen metaphorischen).
Mit den Talkshows verhielt es sich freilich so wie mit allem: ein Affe machts vor, tausend Affen machen es nach. Seit Ilona Christen auf RTL erste Erfolge in den Quoten verbuchen konnte, überfluteten die Privatsender den Nachmittag mit ihren Peter Imhofs, Pilawas, Franklins, Veras, Rickys, Oli Geißens und wie diese abgehalfterten Moderatoren-Pappkameraden alle hießen, was natürlich zur Folge hatte, dass dem Zuschauer das ewige inhaltsleere Gebrabbel irgendwann mächtig auf den Sack ging - zumal die deutschen Talkshows längst nicht den krawalligen Gladiatorenkampf-Charakter von amerikanischen Formaten à la Jerry Springer hatten und demzufolge weniger dem inneren Schweinehund die Eier kraulten. Hierzulande musste man sich mit Unterschichts-Beziehungskisten und verschwitzten Altmänneraufgeil-Themen der Marke "Ich werde Pornostar" oder "Schlampe: Du hast mir den Mann ausgespannt" vorlieb nehmen. Soweit, so gut.
Klar: Der "Talk" stand immer ganzganzganz weit hinter der "Show", aber anders ging es ja auch nicht. Es wurde zwar viel geredet, aber es kam immer mehr auf den Unterhaltungscharakter, die Lautstärke an, im Grunde hätte man das Format auch "Freakshow" nennen können, spätestens ab dem Zeitpunkt, als den hungrigen Talkshows die Normalkandidaten ausgingen und sie auf gecastetes Menschenmaterial zurückgreifen mussten. Das nahm dem Ganzen noch mehr von der ohnehin kläglichen Authentizität, verstärkte aber nochmals den Showcharakter und ja, man muss es einfach so sagen: es war immer wieder ein Vergnügen, wie die Talkshow-Hintermänner, als sie merkten dass die Quoten zurückgingen, immer härtere Konflikte auffuhren, um den Zuschauer bei Stange zu halten, die Freaks wurden freakiger, die Titten wurden größer, die Themen wurden dämlicher.
Und jetzt, wie gesagt, kämpft da eine einsame Britt werweißwielangenoch um ihre eine Stunde tägliches Geschwafel. Ich hege große Sympathien für Britt Hagedorn, in erster Linie weil sie einfach eine geile Sau ist, aber auch weil mich dieses Gute-Alte-Talkshow!-Gefühl ganz nostalgisch macht - auch wenn von "Gute alte Talkshow" nicht viel zu sehen ist, es geht dort schließlich nur noch um Vaterschafts- und Lügendetektortests.
Aber gut. Ich bin gespannt wann ich den Abgesang auf die Doku-Soaps schreiben kann, das wird vermutlich noch etwas dauern, aber mir auch bedeutend mehr Spaß machen!

Samstag, 28. November 2009

Anmachspruch

"Möchtest Du vielleicht noch kurz mit raufkommen und dir meine K.O.-Tropfen-Sammlung ansehen...?"

Mittwoch, 25. November 2009

Ein normaler hirntoter Tag

Für all die Atzen, die sich fragen wie denn ein normaler, hirntoter Tag aussieht, hier ein kleiner Einblick von gestern…


Ca. 13 Uhr: Aufgewacht (nicht zu verwechseln mit „Aufgestanden“!), TV eingeschaltet, Frühstück im Bett (Kaffee und einen Pott Haferflocken in Milch mit Zucker & Kokosraspeln), dabei „Britt“ geguckt, sich über die hirnamputierten Vollidioten dort lustig gemacht und selber cool und überlegen gefühlt. Und Britts Arsch bewundert – eine geradezu phantastische Mutti!


14:00 Uhr: Aufgestanden, Hirntot-Forum (www.hirntot-forum.de), E-Mails (schwartz@hirntot-records.de) & Myspace (www.schwartzrap.de) gecheckt, Fan-Post beantwortet (oder auch nicht – je nach Laune)


14:30 Uhr: Am Hirntot-Roman gearbeitet (coming soon), recht gut vorangekommen, so etwa 50% des Dings sind fertig. Beim Schreiben ca. 2 Thermoskannen Kaffee versoffen.


16:00 Uhr: Zwischenzeitlich mit Queen Katha (Drama Muzick) gelabert & Feature vereinbart, anschließend weiter am Roman gearbeitet.


17:00 Uhr: Mit Blokkmonsta zum Postfach. Neues Schreiben der BPJM erhalten (Inhalt top secret!), ein paar Getränke eingekauft (Eistee in verschiedenen Geschmacksrichtungen).


18 Uhr: Antwortschreiben für die BPJM aufgesetzt, zugunsten der „Simpsons“ aber um eine Stunde verschoben.


19 Uhr: Antwortschreiben für die BPHM aufgesetzt & fertiggestellt.


19:30 Uhr: Mit dem Cutter der „Im Fadenkreuz“-DVD gesprochen, das Teil ist fast fertig, ein paar Dinge müssen noch korrigiert werden… aber freut euch schon mal drauf!


20 Uhr: Mittagessen (Shawarma mit Rind) beim Libanesen um die Ecke. Sehr gut!


21 Uhr: Chilltime. „Untergrund“ von Blokk & Arzt ein wenig gehört, Hirntot-Forum (www.hirntot-forum.de), E-Mails (schwartz@hirntot-records.de) & Myspace (www.schwartzrap.de) gecheckt, außerdem auf mzee.com & hiphop.de über die irgendwelche Neuigkeiten aus der „Hiphop-Szene“ informiert.


22 Uhr: Weiter am Roman gearbeitet (alles was ich heut Mittag geschrieben habe überarbeitet, besonders die Dialoge…)


ca. 23:30 Uhr: Mit Blokkmonsta ne Idee für ein weiteres gemeinsames Colabo-Album gehabt.


23:31 Uhr: Colabo-Album angefangen aufzunehmen…


1:30 Uhr: … und fertiggestellt! Haha, nein. Zurück zu 23:30 Uhr: Ideen notiert und in den proppenvollen „Projekte Irgendwann“-Ordner verschoben. Danach weiter am Roman gearbeitet, nebenher auf Myspace gechilltt.


1:30 Uhr (jetzt aber wirklich): Mit Blokkmonsta zur Currybude an der Ecke gelatscht und eine Zwischenmahlzeit eingenommen. Dann wieder zurück und weiter am Roman gearbeitet, allerdings mit sinkender Konzentration.


2:30 Uhr: Ein paar Songzeilen aufgeschrieben und in irgendeiner Datei gespeichert (finde ich allerdings nicht mehr wieder).


2:35 Uhr: Mit paar nachtaktiven Atzen in MSN gelabert… nebenher am Roman gearbeitet (langsam wird’s langweilig, hahaha).


5 Uhr: Richtung Bett gechillt, TV eingeschaltet, irgendwelche witzlosen Sitcoms geschaut, dabei Abendessen (ein Stapel Brote mit Mett, Salami, jungem Gouda, dazu stilles Wasser mit Pfirsichgeschmack).


6 Uhr: Schlafenszeit!

Donnerstag, 6. August 2009

Tipps für Rap-Newcomer

Oft schreiben mir Leute, dass sie sich jetzt auch an Rap versuchen möchten, und ob ich ihnen nicht Tipps geben könnte. Obwohl ich glaube, dass es da sicher geeignetere Ansprechpartner gibt als mich, will ich mal nicht so sein, und da ich gerade ein paar Minuten zeitlichen Überschuss habe, kann ich im gleichen Zuge diesen leicht mumifizierten Blog ein wenig wiederbeleben. Fangen wir also an.

1. Keiner wartet auf dich

Es ist vielleicht symptomatisch für eine Musikrichtung, die mehr oder minder aus lyrischen Schwanzvergleichen heraus entstand, dass von Rappern erwartet wird mit dem Selbstbewusstsein eines Kingkong durch die Gegend zu stapfen und lauthals zu verkünden, dass man das sog. "Game" nun vollends ficken wird, dass alle Haster sich zurückziehen können und man für Hiphop in ungefähr das ist, was Jesus fürs Christentum war. Verabschiede dich von dem Gedanken. Mach dir bewusst, dass keiner auf dich wartet, dass es sicherlich nicht noch einen Rapper braucht, der der Welt ungefragt seine Meinung oder seine Biographie um die Ohren klatscht. Schau dich auf Myspace um: es gibt mehr Rapper als Kfz-Mechaniker in Deutschland. Jeder Raphörer versucht sich früher oder später auch mal an der Sache, und du bist nicht anders. Du bist bloß einer von vielen, nichts besonderes. Das ist hart, aber die Wahrheit, leb damit und nimm es als Grundlage für alles weitere.

2. Vernachlässige den Text, bau auf deine Stimme

Aus irgendeinem Grund hat Rap den Ruf, dass die Texte das wichtigste seien. Das mag dran liegen, dass es in keiner anderen Musikrichtung mehr Text gibt als hier und bei manchen Storytellern oder akrobatischen Reimspielereien ist ein guter Text unerlässlich, aber ein Anfänger kann auf den Text getrost scheißen. Aus diesem Grund kannst du dich auch aus diesen merkwürdigen Freetype-Foren fernhalten, also Internetforen, wo man sich Battles per getippten Textzeilen liefert. Das ist ein netter Zeitvertreib, aber hat mit Rap nichts zu tun. Rap funktioniert nicht über die Schrift, sondern über den Sound, und damit meine ich nicht das Geklacker der Tastatur. Das erste, was ein Hörer von dir wahrnehmen wird, noch bevor der Sinn des Textes an sein Ohr gedrungen ist, ist deine Stimme und deine Vortragsweise, also der Flow. Das bedeutet: Arbeite an deiner Stimme. Klar, nicht jeder ist mit einer guten Stimme gesegnet, aber es kommt nicht drauf an Barry-White- oder Leonard-Cohen-mäßig gefällig zu klingen, sondern stimmlich aufzufallen. Legendäre Rapper wie B-Real von Cypress Hill, Eazy-E, Flavour Flav oder auch Busta Rhymes haben alles andere als gefälllige, aber dafür umso markantere Stimmen. An deiner Stimme groß etwas ändern kannst du nicht, aber du kannst lernen sie einzusetzen. Experimentiere herum, nimm dich in unterschiedlichen Stimmlagen auf und höre es mir anschließend an, schau, was dir selber am Besten gefällt. Und keine Angst vor dem Mikrofon: dem macht es nichts aus, wenn du es anschreist. Das größte Manko von Anfängern ist Unsicherheit oder Angst vor dem Mikrofon, halbgeflüstertes, eierlos klingendes Genuschel. Versuche nicht krampfhaft anders zu klingen, mach was dir gefällt, aber achte drauf, dass deine Stimme nicht wie jede andere klingt. Und wenn du halt eine gelangweilte Stimme hast, dann kultiviere diese Langeweile stimmlich. Ich bin sicher, du weißt was ich meine.

3. Steh zu deinen Vorbildern und entwickle deinen eigenen Stil

Jeder hat Vorbilder, das ist ganz normal. Wer behauptet keine Vorbilder zu haben, will sie lediglich nicht wahrhaben, und betrügt somit sich selbst und den Hörer. Klar werden deine ersten Rapversuche maßgeblich von deinen Vorbildern beeinflusst sein - das ist ganz natürlich. Aber solange deine ersten Rapversuche nicht an die Öffentlichkeit kommen, ist das egal. Studiere den Rap deiner Vorbilder. Dass sie dir gefallen ist klar, aber WARUM gefallen sie dir? Finde es heraus und du kannst dich von ihrem Einfluss freimachen. Lass dich ruhig weiterhin von ihnen inspirieren, verwende Teile ihrer Texte oder Flows und baue sie als kleine Hommage in deine eigenen ein, aber mach nicht den Fehler zu kopieren oder nachzuahmen. Entwickle deinen eigenen Stil. Das kann mitunter ein langwieriger Prozess werden, aber wenn du nicht einer von vielen Imitaten sein willst, ist es notwendig. Dein eigener Stil ist das einzige, was dich von anderen abhebt. Viel mehr Worte kann ich dazu nicht sagen, vielmehr Tipps auch nicht geben, es ist schließlich DEIN Stil.

4. Halte deinen Stuff zurück

Der Hörer wird am Ende nicht wissen, dass du drei Nächte am Stück an diesem einen Part gesessen hast, ihn zehnmal neu aufgenommen hast, er wird nicht sehen, wie du stundenlang an den Backups herumexperimentiert hast. Der Hörer wird nachher nur feststellen, dass du halt in der dritten und achten Zeile offbeat bist und den Track scheiße finden und abhaken. Halte dich also zurück. Wenn du nicht mit einem natürlichen Taktgefühl gesegnet bist, übe dich in Rhythmik. Einer der größten Fehler von Anfängern ist, dass sie so stolz auf ihren fertigen Track sind, dass sie vor lauter Fassungslosigkeit nicht merken dauernd neben dem Takt zu sein oder stimmlich zu verkacken. Die vernichtenden Kritiken treffen sie dann umso härter. Also: übe, übe, übe, und wenn du halt diese eine Stelle mit dem Text auch beim achtunddreißigsten Mal nicht ohne zu Holpern hinkriegst, dann versuche es ein neununddreißigstes Mal. Und sei beruhigt: mit der Zeit wird dein Rhythmus- und Taktgefühl sich schärfen, das liegt in der Natur der Sache. Später wird das alles routinierter, später brauchst du keine vierzig Anläufe mehr für eine Strophe. Aber jetzt eben schon. Nimm dir die Zeit, wenn du nicht einer von vielen sein willst. Die Hörer, denen du nachher ungefragt deine Ergüsse servieren wirst, werden es dir danken. Damit kommen wir auch direkt zum nächsten Punkt.

5. Scheiß auf das Feedback

Dank Myspace und Internet-Rapforen kann man sich innerhalb kürzester Zeit von einer anonymen Öffentlichkeit Kritik und Feedback einholen, und wie man gemeinhin sieht, wird diese Möglichkeit auch gerne genutzt. Aber bitte nicht von dir. Du brauchst kein Feedback. Dein Track ist ein Angebot für eine potenzielle Hörerschaft, es ist dein Track, du stehst dahinter, du weißt genau warum du den Track so und nicht anders gemacht hast. Feedback à la "Der Reim da ist doof und dort solltest du lieber dies machen" ist sinnlos, denn du weißt warum du diesen doofen Reim da benutzt hast und dass du es ganz bestimmt nicht anders machen wolltest. Du kennst deinen Stil und stehst dahinter. Wenn du auf andere angewiesen bist, die dir dann sagen, dass du offbeat bist oder deine Stimme nach undeutlichem Gewisper klingt, dann ist es zu früh für eine Veröffentlichung. Wenn dir Reime egal sind, werden die Hörer dich sicherlich auf deine billigen "Rhymes" aufmerksam machen, aber es kann dir egal sein, weil du mit anderen Maßstäben an die Sache gehst. Deine Tracks werden nicht jedem gefallen, Geschmäcker sind eben verschieden. Also frage nicht nach Feedback, du kennst weder die Kompetenz der Internetuser noch ihren Geschmack, es wird dir in keinem Falle helfen.

6. Sei realistisch

Okay, du hast nun deinen ersten Track fertig, der Text ist unfallfrei eingerappt, er ist untegrrundmäßig, aber anhörbar abgemischt worden und nun hau ihn raus, auf welche Art auch immer. Aber sei realistisch. Denk an Punkt 1, es wartet immer noch keiner auf dich, du bist nach wie vor einer von vielen.
Beweise ihnen das Gegenteil!

Viel Erfolg!

Sonntag, 17. Mai 2009

Rap und Geld

Natürlich scheißt du aufs Geld. Du machst Musik aus Liebe zum Rap, aus allen möglichen Gründen, nur nicht für's Geld, daran denkst du gar nicht. Dein Traum ist es, deine CD im Media-Markt unter den Neuerscheinungen zu sehen, oder ein Publikum zum Ausrasten zu bringen. Du rappst aus Spaß, weil du Rap immer gerne gehört hast und weil dich irgendwas antreibt, das dir sagt, dass du es besser machen willst und kannst. Also fängst du an, über Myspace ist das kein Ding. Du stellst deine ersten Tracks online, die Resonanz ist positiv, du freust dich. Dann merkst du, dass die meiste Resonanz von Leuten kommt, die selber auch rappen, du schaust dich auf Myspace um, und ein leichtes Unbehagen beschleicht dich, denn dem Angebot von einer regelrechten Armada aus Nachwuchsrappern steht eine verschwindend geringe Gruppe von Leuten entgegen, die Rap "nur" hören. Aber gut, du hörst dir die Mucke von den Leuten, die dich gelobt haben, an und findest es okay, manche sind vielleicht besser, aber die meisten sind schlechter. Du machst mehr Tracks, du verfeinerst deine Technik, deinen Stil, du machst Features mit ein paar Leuten, die deine Tracks positiv kommentiert haben (ausgenommen der nervtötende Spast da mit dem Headset und ohne jegliches Taktgefühl). Du veröffentlichst eine Free-EP, dein ganzer Stolz, du hast dir Mühe gegeben. Aber es ist eine von vielen, wie du feststellen musst, eine von tausenden, hunderttausenden.
Reicht dir das? Einer von Tausenden zu sein? Wenn ja, wirst du noch ein paar Free EPs machen und irgendwann das Interesse an Rap verlieren, du wirst Ausbildung/Schule/Studium zu Ende bringen, einen Beruf ergreifen, und dein Traum von einer Rap-Karriere ist irgendwann verblasst, irgendwo abgeheftet zwischen "Traumberuf Astronaut" und dem Lottogewinn.
Man sagt ja auch, man solle aufhören, wenne s am Schönsten ist. Aber es reicht dir nunmal nicht, Free-EPs genügen dir nicht mehr, du willst mehr. Das liegt in der Natur der Sache. Du denkst natürlich nicht ans Geld, aber dein Traum von der CD im Media-Markt, dem Auftritt vor tausenden begeisterten Fans, sitzt dir im Nacken und treibt dich an. Die Kommentare deiner Hörer werden überschwänglicher, "Der hat's voll drauf", "aus dem könnte was werden" usw., alles Dinge, die dich bestätigen. Du stellst ein Demo zusammen, verschickst es an ein Fachmagazin, an Labels. Es gibt keinerlei Resonanz, aber damit hast du gerechnet, also machst du weiter, noch eine Free-EP, ein Auftritt, ein neues Demo. Du willst dranbleiben, denn die meisten geben an dieser Stelle auf, sie verlieren den Spaß an der Sache, hassen das "Game", die angebliche Korrumpiertheit der ganzen verfickten CEOs und Redakteure, die ihre Genialität nicht erkennen wollen, sie machen Ausbildung/Schule/Studium zu Ende, ergreifen einen Beruf und hören nur noch Schlager, die alten Rap-CDs werden auf Ebay vertickt.
Aber zu denen gehörst du nicht. Du bist beharrlich, du bleibst dabei, dein Traum treibt dich an.
Und dann geschieht einer dieser Zufälle, du lernst jemanden kennen, der jemanden kennt, irgendein Praktikant bei einem Magazin entdeckt dein Demo im Mülleimer und schiebt es aus Langeweile ein, ist begeistert und gibt es weiter, whatever: irgendetwas passiert, was dir das Gefühl gibt, voranzukommen, du bekommst eine Chance. In einem Fachmagazin wirst du in einem Nebensatz als Geheimtipp erwähnt, du bist der Ohnmacht nahe. Deine Hörer, Fans, was auch immer, freuen sich für dich, sie warten gespannt auf neuen Stoff von dir, du recordest neue Tracks, gibst dir Mühe, du willst es allen Beweisen.
Ein Label wird auf dich aufmerksam, wahrscheinlich ein kleines, natürlich kein Major, aber das ist dir egal, du bekommst so etwas wie einen Deal, die Konditionen sind dir scheißegal, hauptsache es geht vorwärts. Du bringst ein Mixtape oder eine EP raus, sie steht nicht im Media-Markt, aber es ist ein Anfang. Du wirst gebucht, trittst vor ein paar Leuten auf, du wirst gefeiert, du kannst es kaum fassen. In der Zeitschrift haben sie dich als "Newcomer-Geheimtipp" klassifiziert, sie bringen einen Artikel über dich, vielleicht ein kleines Interview, deine EP bzw. das Mixtape werden positiv besprochen, du fühlst dich wie Gott. Deine Fans feiern dich, sie lieben deinen Scheiß, sie verbreiten ihn im Freundeskreis, dein Deal sieht ein Album vor, eines, was auch im Media-Markt stehen wird, du machst dich dran, du arbeitest hart, du willst es allen beweisen.
Dann erscheint dein Album, und dein Traum ist erfüllt, du gehst zum Media-Markt, da steht es, du fühlst dich wie Gott, das ist DEIN Album. Es ist dir scheißegal, wieviel du verkaufen wirst, das ist DEIN Album. Eine Fachzeitschrift bespricht es, vielleicht positiv, vielleicht negativ, schlimmstenfalls überschwänglich, denn dann könnte ein Hype generiert werden, und der wäre tödlich, aber davon willst du jetzt sowieso nichts wissen, es ist nicht wichtig. Es wird positiv besprochen, deine Fans sind begeistert, die alten Leute von Myspace schreiben dir, auf einmal wollen sie alle ein Feature mit dir, natürlich wollen sie das, sie erinnern dich daran, dass sie es doch waren, mit denen du damals deine ersten Tracks gemacht hast, aber du antwortest schon gar nicht mehr auf die Mails, es gibt zuviel zu tun, ein paar Auftritte müssen absolviert werden, Album-Promo, das ganze Programm, du bist jetzt ein Teil davon, mit deiner CD im Media-Markt.
Man sagt, man solle aufhören, wenn es am Schönsten ist. Aber du merkst, dass die Erfüllung eines Traumes nur bedeutet, dass neue Träume an die Stelle treten.
Du kannst nicht aufhören, denn ES hört nicht auf, die CD steht bei Media-Markt, eine zweite muss hinterher. Du gibst Interviews, bringst die typischen Antwortphrasen auf typische Fragen, Hiphop ist dein Leben bzw. du scheißt auf Hiphop, je nachdem. Dein Album läuft gut, die Leute sind begeistert, auf einmal reviewt jedes Magazin dein Album, die Leute behandeln dich anders. Auf der Straße wirst du noch nicht erkannt, aber manchmal gucken Leute komisch, so als ob sie dich von irgendwoher kennen. Du bekommst etwas Geld, du freust dich, es ist natürlich nichts im Vergleich zu dem Fame, dem neuen Lebensgefühl als Rapper, aber es ist ein Bonus, kauf dir was Schönes davon.
Du kriegst immer mehr Post, die Leute fragen, wann es neuen Stoff von dir gibt, sie sind verrückt nach dir, du fühlst dich wie Gott. Die alten Leute von Myspace ärgern sich, dass du ihre Mails nicht mehr beantwortest, vor allem der Spast mit dem Headset und ohne Taktgefühl, er schreibt wie scheiße du geworden bist, eine arrogante Sau, aber das ist dir egal, der harte Kern deiner Fans ist da, sie lieben dich und deinen Stil, dein Album läuft gut, du bekommst noch etwas Geld, kaufst dir was Schönes.
Dann werden die Fragen nach dem zweiten Album lauter, man sieht das Potenzial in dir, aus dir könnte was werden, merkwürdige Weiber kommen auf einmal an, die dich vorher mit dem Arsch nicht angeguckt hätten und buhlen um einen Schluck deines Erbguts, du fühlst dich wie Gott, es läuft phantastisch.
Man sagt, man solle aufhören, wenn es am Schönsten ist. Das soll wohl ein Witz sein!
Dein Label meldet sich, ein Major hat Interesse angemeldet. Sie würden dein zweites Album gerne rausbringen, sie sehen Potenzial in dir, sie besorgen die Promo, sie regeln alles. Und du hörst zum ersten Mal das Wort "Vorschuss". Und auf einmal ist auf deinem Konto mehr Geld als jemals zuvor, für nichts, für dein zweites Album, was du noch nichtmal angefangen hast. Du fühlst dich wie Gott.
Die Zeitschriften schreiben, die Erwartungen an dein zweites Werk sind hoch, natürlich sind sie das, aber hey, du hast es schließlich drauf. Du kaufst dir eine Menge schöner Sachen von dem Vorschuss und machst dich an dein zweites Werk, aber du merkst, dass es schwieriger ist, die Erwartungen an dich, die kanntest du schon, aber sie waren nie so erdrückend. Aber das ist egal, dein Major hat die Stadt mit dem Cover deines neuen Albums plakatiert, die Leute, die dich komisch angucken werden immer mehr, manche kommen auf dich zu und sagen "Ey bist du nicht DU?" und du sagst "Ja" und bist stolz, du fühlst dich wie Gott. Du gibst Interviews, du lädst deine Kumpels zum Saufen ein, du hast auf einmal eine Menge neuer alter Kumpels, sie nennen dich "den Starrapper" im Spaß, aber dich beschleicht das Gefühl, dass sie es auch so meinen.
Du hast ein paar Tracks vom zweiten Album fertig, aber es will irgendwie nicht so recht, und auf einmal ruft einer vom Major an, und du lernst nach "Vorschuss" das zweite wichtige Wort kennen, es heißt "Deadline", dein Album muss fertig werden. Na gut, denkst du, scheiß drauf, du kackst ein paar Tracks hin, ein paar namhafte Produzenten werden das schon aufmöbeln.
Man sagt, man solle aufhören, wenn es am Schönsten ist. Aber man kann nicht aus einem Riesenrad steigen, wenn es ganz oben ist.
Dein zweites Album erscheint. Du hattest Pech, denn das erste Album hat einen Hype generiert. Der Jubel in den Fachzeitschriften fällt verhalten aus, naja, es ist okay, aber kommt nicht ans erste Album ran, aber das ist nicht das Schlimme. Deine alten Fans, die dein erstes Album so gefeiert haben, sie werden verdrießlich, das ist irgendwie nicht mehr so wie das Alte, stänkern sie, damals war mehr Herz dabei, das klingt irgendwie nach Geldmacherei, seit du beim Major bist geht's bergab, immer öfter liest du sowas in den einschlägigen Foren und irgendwie machen dir die Beiträge des Spasten mit dem Headset und ohne Taktgefühl auf einmal was aus, wenn er wieder schreibt, er habe es ja schon immer gewusst, du seist 'ne arrogante Sau, deine Mucke wäre richtig kacke und deine neuen Fans sind alles Opfer. Überhaupt, die neuen Fans. Es sind viele, die Promo durch deinen Major hat sie angezogen, sie lieben dich, sie sagen, deine Mucke wär ihr Leben, sie feiern dich wie einen Gott, und fast alle haben dein Album heruntergeladen.
Dein Major meldet sich, das Album blieb hinter den Erwartungen zurück, der Verkauf ist schleppend, naja, eigentlich beschissen. Du bist sauer, du sagst, du willst ein drittes machen, du willst es allen beweisen, ein drittes, mhm, man müsste mal sehen, sagen sie, aber in Wahrheit haben sie dich längst aufs Abstellgleis gestellt. Deine neuen Fans, sie kommen wenigstens zu deiner Show, manche jedenfalls, aber es bleibt hinter den Erwartungen zurück, alles, irgendwie. Deine alten Fans werden immer biestiger, es kommt dir so vor, als ob sie dich regelrecht hassen, wenn du manchmal abends in den Foren nachliest, was sie so schreiben, du habest deinen Arsch verkauft, du seist 'ne Kommerzhure geworden, die Majorschwänze bläst, das ganze Programm.
Dein Hype ist vorbei, nun hat dich die Realität wieder. Leute erkennen dich auf der Straße, aber es ist irgendwie anders geworden, deine zweite CD hat zwar jeder, aber irgendwie hat keiner für sie bezahlt, so kommt es dir zumindest vor. Du schlägst die Zeitschriften auf, dort steht nichts mehr über dich, da ja auch nichts neues mehr kommt, andere Namen stehen dort, neue Namen, neue Newcomer, neue Geheimtipps. Manchmal taucht dein Name noch auf, aber es ist anders, wie gesagt. Du wirst depressiv, wütend, du weißt nicht wohin mit deiner Wut, du würdest gerne ein neues Album machen, aber dein Major lässt dich nicht, du überlegst ob du es wieder independent machen sollst, du willst es allen beweisen, aber es ist irgendwie alles wieder wie zu Beginn, wie bei Myspace, du bist einer von vielen, von sehr vielen.
Dein Vertrag mit dem Major läuft aus, du bist wieder frei, du hast die ganze harte Zeit über an dem Album gesessen, dem neuen, wo du deine Wut, deinen Hass, deine Verletztheit reingesteckt hast, du bringst es independent raus. Es spielt nichtmal die Presskosten ein, denn es gab keinen Major der Promo gemacht hat, die Magazine haben am Rande darüber berichtet. Deine neuen Fans wissen von dem Album nichts, und die alten wollen von dir nichts mehr wissen. Du sitzt auf einem Haufen CDs und fragst dich, was die ganze Scheiße eigentlich noch soll.
Und dann denkst du dir, na gut, und kündigst groß an, dass du aufhören wirst mit Rap, ein letzter Schrei nach Aufmerksamkeit, darüber berichten sie sogar alle, ebenfalls eine Randnotiz, eine Meldung. Und dann sitzt du abends da, liest in den Foren, was sie über dich schreiben, über deine Rücktrittsankündigung, ist eh nur Promo, sagen sie, gut, dass der Spast endlich aufhört, sagen sie, ein Opfer weniger, manche sagen, sie mochten dich, aber ein echter Verlust wäre es nun auch nicht, ganz wenige nur ergreifen Partei für dich, aber sie sind die absolute Minderheit gegenüber denen, die sagen "Er hat doch eh nur wegen der Kohle gerappt, gut dass er aufhört".
Okay.
Nun kannst du aufhören.